Evangelisch - Lutherischer Glaube
Warum treten die Kirchen für den Schutz des Sonntags ein?
Wenn die Kirchen beim Thema Sonntagseinkauf für Regelungen mit Augenmaß plädieren, werden immer wieder dieselben Fragen gestellt: Darf Kirche das? Sollen sich die Kirchen in Dinge einmischen, die sie nichts angehen? Reklamieren sie hier Sonderrechte für sich? Und überhaupt: Wie steht es denn dann um die Trennung von Kirche und Staat?
Dabei ist die Frage der Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen zuallererst eine rein rechtliche: Laut Grundgesetz ist der Sonntag wegen „der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ aller Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Dies gilt für alle, ob Christen oder nicht. Es geht also nicht um ein kirchliches Sonderrecht. Es geht hier auch nicht darum, die Zahl der Gottesdienstbesucher zu erhöhen. Wenn von „seelischer Erhebung“ die Rede ist, dann verstehen Christen darunter u.a. den Gottesdienst. Für nicht religiöse Menschen kann „seelische Erhebung“ vielleicht Sport sein, ein Spaziergang, oder einfach ‘mal seine Ruhe haben zu wollen‘.
Der Sonntag ist so gesehen ein gesamtgesellschaftliches Kulturgut, das auch religiöses Leben wie den Gottesdienstbesuch etc. ermöglicht. Der Sonntag als freier Tag bietet die Chance, den Menschen und der Gesellschaft die nötige Besinnung zu bringen und dem sozialen Zusammenleben einen Rhythmus zu geben. Die Wocheneinteilung bekommt ihren Sinn von dem einen, herausgehobenen Wochentag: dem Sonntag. Denn der Sonntag unterbricht den Alltag und gibt Raum für die eigene Besinnung, für die Familie, für Freunde. Durch gemeinsame Freizeitgestaltung, beispielsweise im Sportverein, wird soziales Zusammenleben gefördert.
Ohne diesen freien Tag würde unser Zusammenleben wie das Internet funktionieren. Es kennt keinerlei Zeitstruktur wie Tage, Wochen, Monate, Jahre. Das Leben kennt dagegen Pausen und ordnet sich, indem es Anfänge und Schlusspunkte gibt. Der Sonntag als arbeitsfreier Tag wehrt ebenso der Tendenz der Ökonomisierung aller Lebensbereiche.
Wir sind aber auch dankbar für die Menschen, die an Sonntagen ihren Dienst für die gesamte Gesellschaft versehen, beispielsweise als Polizistin oder Pflegekraft, als Ärztin oder Servicemitarbeiter – oder auch in der Gastronomie. Allerdings sollte dieser Personenkreis möglichst begrenzt bleiben.
Warum aber ist der Sonntagsschutz dann so umstritten?
Im Zuge der Globalisierung weitet sich nicht allein der Raum der Aktivitäten aus, sondern es gibt Kräfte, die ebenso die zeitlichen Handlungsmöglichkeiten ausdehnen möchten. Ein Teil der Wirtschaft und der Politik möchte den Sonntag für ungehinderten Einkauf öffnen und argumentiert mit Beispielländern wie Polen und den USA. Umsatzsteigerung um jeden Preis? Die Befürworter uneingeschränkter Öffnungszeiten verkennen aber, dass es in Deutschland eine ganz andere Kulturtradition des Sonntags gibt. Als Kirche sehen wir darin Gefahren für die gesamte Gesellschaft, insbesondere für die Familien. Deren Zusammenhalt braucht - angesichts der Belastungen im Alltag - diese „Auszeit“, an der alle zusammenkommen und Zeit füreinander haben und miteinander verbringen.
Übrigens: Eine repräsentative Umfrage kam 2012 zu dem Ergebnis, dass nur ein Viertel aller Bundesbürger für die Ladenöffnung an Sonntagen ist. Die Argumente der Kirchen können folglich nicht so „altbacken“ sein, wie dies manche gern versuchen darzustellen. Bezüglich der negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Sonntagsarbeit gibt es ebenfalls diverse Studien.
Welche Position hat die Nordkirche zu Ausnahmen (z.B. Bäderverkaufsverordnungen)?
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland und zuvor die Kirchen in Nordelbien, Mecklenburg und Pommern haben sich Bäderverkaufsverordnungen in bestimmten Kur- und Tourismusorten nicht verschlossen, da auch unserer Kirche die touristische und wirtschaftliche Entwicklung in Norddeutschland am Herzen liegt. Schon immer sind insbesondere für touristisch geprägte Regionen an der Küste oder in Tourismushochburgen im Binnenland Ausnahmeregelungen möglich gewesen.
In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben die zuständigen Landesregierungen entsprechende Regelungen erlassen. Beide Bäderverkaufsverordnungen sind zwar unterschiedlich in der jeweiligen Gewichtung,
erscheinen in der Gesamtschau jedoch durchaus als vergleichbar. Jedes Bundesland berücksichtigt seine eigene Situation und die besonderen Gegebenheiten vor Ort. Im Rahmen der verfassungsgemäßen und gesetzlichen Vorgaben können die Kriterien wie Öffnungszeiten, Anzahl der Orte und Warenkorb unterschiedlich gewichtet werden, um dann aber in der Gesamtschau das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu wahren.
So können beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern die beiden kreisfreien Städte sowie alle früheren kreisfreien Städte und zudem die beiden Weltkulturerbe-Städte öffnen, im Nachbarland sind beispielsweise Kiel und Lübeck nicht in die dortige Bäderverkaufsverordnung einbezogen. In Schleswig-Holstein ist der zeitliche Rahmen etwas weiter, dafür ist in Mecklenburg-Vorpommern ein erheblich größerer räumlicher Bereich und damit eine prozentual zur Gesamtbevölkerung erheblich größere Anzahl von Personen von den Ausnahmen des Sonntagsöffnungsverbots umfasst.
Hintergrund:
- Die Sonntagsruhe ist vom Grundgesetz geschützt. Artikel 140 GG bestimmt, dass der Sonntag der „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ ist.
- Zuletzt im Jahr 2009 hat das Bundesverfassungsgericht zum Ladenschluss geurteilt: Darin erklärten die Richter den Sonntagsschutz zur Regel und die Ladenöffnung zur Ausnahme. Sie betonten die Bedeutung der kollektiven gemeinsamen Ruhe und wiesen auf die nachteiligen sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen der Sonntagsarbeit deutlich hin. Für Sonntagsöffnungen verlangt das Gericht „ein öffentliches Interesse solchen Gewichts (...), das die Ausnahmen von der Arbeitsruhe rechtfertigt. Dazu genügen das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse auf Seiten der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche 'Shopping-Interesse' auf der Kundenseite nicht.“
- Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Greifswald von 2010, das die damalige Bäderverkaufsverordnung in Mecklenburg-Vorpommern aufhob, ist rechtlich eine klare Begrenzung der verkaufsoffenen Sonntage, der einbezogenen Orte und des Warenangebotes geboten, um den Ausnahmecharakter deutlich zu machen.