Nordkirche Theologischer Tag in Ratzeburg: Was kommt nach der Kirchensteuer?

Landesbischöfin Kristina Kühlbaum-Schmidt. Copyright: Nordkirche

Ratzeburg. Die Nordkirche stellt sich den Herausforderungen einer kleiner werdenden Kirche. Die 170 Teilnehmenden des Theologischen Tages in Ratzeburg haben über neue Finanzierungskonzepte und alternative Formen der Gemeindearbeit diskutiert. 

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt benannte es in ihrem Eröffnungsimpuls klar und deutlich. „Die Frage der Kirchenfinanzierung ist ein heißes Eisen.“, erklärte die Vorsitzende der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) zu Beginn des Theologischen Tages (14. Mai 2024) in Ratzeburg. Sie danke der Direktorin des Prediger- und Studienseminars der Nordkirche, Pastorin Dr. Emilia Handke, und der Rektorin des Pastoralkollegs der Nordkirche, Pastorin Dr. Nicole Chibici-Revneanu, sowie deren Teams, dass sie dieses heiße Eisen angepackt haben. 

Welche Kirche wollen wir künftig sein?

Nach Überzeugung der Landesbischöfin ist die künftige Finanzierung untrennbar mit der Frage verbunden, wie evangelische Kirche zukünftig sein will. Die Leitende Geistliche der Nordkirche verwies hierbei insbesondere auf zwei Punkte des Zukunftsprozesses, welche die Landessynode als prioritär zu behandelnd benannt hatte: Erstes auf die „Entwicklung neuer Finanzierungsmöglichkeiten in Ergänzung zur Kirchensteuer“ und zweitens auf „Gremien und Entscheidungsstrukturen für Mitglieder öffnen und Beteiligungsmöglichkeiten für Nichtmitglieder prüfen“.

Strukturerhalt darf nicht das Ziel sein

Der Theologische Tag biete dafür einen geschützten Diskursraum. „Eine wachsende Bedeutung des Fundraisings, Kultursteuer anstelle der Kirchensteuer wie z. B. in Italien, Spanien oder Ungarn, kreative Engagement-Formen, digitale Gemeinde- und Verkündigungsformen, Sozialraumorientierung – das und vieles mehr gilt es gegebenenfalls kennenzulernen und zu diskutieren, und zwar im Blick auf ganz konkrete Möglichkeiten und Konsequenzen. Es gilt, zu überlegen, ohne Vorurteil nüchtern abzuwägen, zu rechnen, Modelle zu entwickeln und zu diskutieren,“ erklärte die Landesbischöfin. „Vor allem aber gilt es, ins Handeln zu kommen. In ein Handeln, dessen Kern nicht Strukturerhalt - um im Wortsinn: jeden Preis -, sondern die Aufgabe ist, möglichst viele Menschen in Kontakt zu bringen mit der befreienden Botschaft der unbeirrbaren, Versöhnung, Frieden und Gerechtigkeit schaffenden Liebe Gottes.“, appellierte Kristina Kühnbaum-Schmidt.

Kirchensteuer wird immer weniger verstanden

Nach den Worten der Landesbischöfin wird das System der Kirchensteuer, das sich in Deutschland lange als zweckmäßig zur Finanzierung kirchlicher Aufgaben erwiesen habe und im ökumenischen weltweiten Kontext als hohes Gut angesehen werde, in Deutschland mittlerweile immer weniger verstanden. „Deshalb fragen viele: Ist es denn nun nicht wirklich an der Zeit, über andere und weitere Formen von Mitgliedschaft nicht nur nachzudenken, sondern sie ggf. auch zu ermöglichen? Mitgliedschaftsformen, die selbstverständlich an die Taufe gebunden sind, die für eine solidarische Mitfinanzierung der kirchlichen Arbeit aber auch andere Modelle ermöglichen könnten als die unlösbare Koppelung mit dem bisherigen Kirchensteuermodell. So sprach die Synode des Mecklenburgischen Kirchenkreis auf ihrer Tagung im April dieses Jahres über Möglichkeiten einer Mitgliedschaft auf Probe oder über Vorstufen zur vollen Mitgliedschaft, die auch schon vor einer möglichen Taufe Teil der Gemeinschaft mit bestimmten Rechten und Pflichten sein lassen könnten.“, erklärte Kristina Kühnbaum-Schmidt. 

Im Blick auf die gegenwärtigen Entwicklungen und notwendigen Veränderungen der evangelischen Kirche fragte sie: „Wohin würde es uns führen, wenn Verlustschmerzen unterschiedlichster Art zwar erst genommen und bearbeitet würden, aber dabei zugleich nicht handlungsleitend wären?“ Sie schloss ihren Eröffnungsimpuls mit den ermutigenden Worten: „Mögen wir eine Kirche sein, die sich in allem, was geschieht und was uns widerfährt, von Gottes Zukunft und deshalb von Hoffnung leiten lässt, von Gottes Stimme, die uns beim Namen nennt und vom Tod erweckt, von Christus, der uns die Liebe lehrt, zu der er uns befreit, von der bewegenden Kraft des Heiligen Geistes, die uns aufbrechen lässt zu neuen Ufern. Denn so spricht Gott: „Siehe ich will etwas Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr´s denn nicht?!“ (Jesaja 43,18-19)

„Die Selbstverständlichkeit von Kirche ist vorbei“

Auch Pastorin Dr. Emilia Handke, Direktorin des Prediger- und Studienseminars, und Pastorin Dr. Nicole Chibici-Revneanu, Rektorin des Pastoralkollegs, die beide mit ihren Teams den Theologischen Tag vorbereitet hatten, verwiesen auf die Notwendigkeit zur Veränderung. Die Zeit der umfassenden Einbettung von Kirche in die Gesellschaft, die Selbstverständlichkeit von Kirche ist vorbei, so die beiden Pastorinnen in ihrer Einführung. „Genau deswegen wollen wir ins Gespräch kommen über Fundraising, Ritualagenturen oder Maßnahmen der Mitgliederkommunikation“, so Emilia Handke und Nicole Chibici-Revneanu. Die entscheidende Frage nicht nur dieses Theologischen Tages sei, so die beiden Pastorinnen: „Wie wird die Kirche sein, in der wir unseren unterschiedlichen Dienst tun?“

Vorträge und Workshops

Nach Begrüßung und Eröffnungsimpuls folgten die Vorträge von Prof. em. Dr. Christian Grethlein (Prof. für Praktische Theologie, Münster) und Erik Flügge (Autor und Dozent, Köln). Erik Flügge war digital zugeschaltet. Professor Christian Grethlein formulierte folgende Thesen: 

  • Seit 1972 zeigt sich, dass die Kirchensteuer in Deutschland an Zustimmung verliert, und heute sind vor allem jüngere Menschen vom Kirchenaustritt betroffen. Dabei geht die heutige Kommunikation in der Religion weg von autoritären Aussagen hin zu persönlichen Erfahrungen, was auch die Art der Finanzierung beeinflusst.
  • Die Verbindung von Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer führt zu praktischen und theologischen Problemen, die alternative Finanzierungsmodelle notwendig machen. Diese alternative Finanzierungsmodelle wie die Mandatssteuer und Fundraising betonen persönliche Beziehungen und eine genauere Profilierung der Verwendung von Spenden.
  • Die Abschaffung der Kirchensteuer erfordert einen grundlegenden Umbau der Kirchenorganisation hin zu einem flexibleren Netzwerk, das stärker auf diakonische Aktivitäten, ökumenische Kooperation und alltagsnahe Kirchenpraxis setzt. Professor Grethlein hält dabei eine Absenkung der Kirchensteuer um jährlich einen Prozentpunkt für denkbar.

Erik Flügge legte den Fokus in seinem Vortrag auf:

  • Das Christentum wird unabhängig von Diskussion um Finanzierung von Kirche weiterbestehen. Es gibt aus Sicht von Erik Flügge kein alternatives religiöses Angebot. Allerdings wird sich Kirche radikal ändern, denn die heutige Kirche ist eine „Kirche im Behördengewand“ und untrennbar an das System Kirchensteuer gebunden.
  • Künftige Pfarrpersonen müssen in erster Linie unternehmerisch denken, in der Kirche hat das Modell „Behörde“ eine Ablaufzeit. Das heißt nach den Worten von Erik Flügge, dass „Kundenbeziehungen“ aufgebaut und marktgerecht agiert werden muss.
  • Veränderung muss radikal passieren, sonst erfolgt statt Veränderung nur Schrumpfung.
  • Sein Vorschlag: Jedes Kirchenmitglied bestimmt selbst über die Verwendung seiner Kirchensteuer - so würde nach der Ansicht von Herrn Flügge ein Wettbewerb im Sozialraum entstehen. Dieser Wettbewerb würde entscheiden, was weiterfinanziert wird und was nicht. So würde die Form von Kirche entstehen, die von den Mitgliedern gewollt ist. Seine Prognose: Die Mitglieder würde lokale Projekte stärken und weniger zentralistische Strukturen.