Lübeck. "Wir sind aus Donbas. Dort herrscht schon seit 2014 Krieg", sagt Ihor Luhovyi mit ernster Stimme. "Uns wurde jeden Tag mehr klar, dass ein großer Krieg jederzeit beginnen kann. Wir wussten nicht, wann, aber wir wussten, dass es passiert. Wir hatten keine Perspektive. Nicht nur in Donbas, sondern in der ganzen Ukraine."
Paar lebte seit 2014 mit dem Krieg in der Ost-Ukraine
Ihor und seine Frau Yuliia sind Anfang 30 und kommen aus Sjewjerodonezk, einer Stadt im äußersten Osten der Ukraine, nur gut 100 km von der russischen Grenze entfernt. Jeden Tag haben sie hier in den vergangenen Jahren mit dem Krieg gelebt: "Wir haben jeden Tag die Bomben gehört und das war so seit 2014. Es war kein normales Leben mehr", schildert Ihor. Was sie sich wünschten - ein schönes Leben - das rückte für das Paar zunehmend in weite Ferne.
Bereits 2017 fingen sie deshalb an, ihre Ausreise zu planen und mussten dabei viele bürokratische Hürden meistern. Im April 2021 kamen sie schließlich nach Deutschland. Dass sie sich mittlerweile auf Deutsch schon sehr gut verständigen können und auch mehr und mehr verstehen, wie Deutschland so "tickt", verdanken die beiden Olga Koop, mit der sie jetzt zusammen auf einem Sofa in den Räumen der Stadtbibliothek Lübeck sitzen. Seit November 2021 unterstützt die Lübeckerin das Paar im Rahmen einer sogenannten Sprachpartnerschaft. Hier in der Stadtbibliothek fanden auch ihre ersten Verabredungen statt.
Sprachpartnerschaften der Gemeindediakonie als Hilfe
Schon kurz nach ihrer Ankunft in Lübeck fingen Ihor und Yuliia an, einen Sprachkurs zu besuchen, doch war die sprachliche Hürde noch immer sehr groß, erzählt Yuliia: "In der Schule gibt es Schüler mit unterschiedlichen Kenntnissen. Als wir im August mit dem Deutschkurs anfingen, haben wir fast gar nicht gesprochen. Wir haben nur zugehört."
Eher zufällig erfahren die beiden über eine Beraterin der Diakonie von den Sprachpartnerschaften, die es bereits seit 2006 in Lübeck gibt. Das Konzept: Deutschsprechende treffen sich einmal in der Woche für rund zwei Stunden mit Migrant:innen, die bereits Grundkenntnisse in Deutsch besitzen. Unter dem Motto "Miteinander sprechen - voneinander lernen" geht es aber auch um den menschlichen und kulturellen Austausch untereinander.
"Barrieren aufbrechen und anfangen zu reden"
Wie es sich anfühlt, in ein fremdes Land zu kommen, dessen Sprache und Kultur man nicht kennt, das weiß Olga Koop ganz genau. Vor 31 Jahren kam sie von Russland nach Deutschland: "Ich weiß, wie wichtig es ist, dass man die Möglichkeit hat, nicht nur auf der Schulbank die Sprache zu lernen, sondern auch Kontakte zu knüpfen. Das war zu meiner Zeit nicht so einfach. Ich habe damals nicht solche Angebote gefunden. Es ist äußerst wichtig, die Barrieren, die bei Leuten mit Migrationshintergrund da sind, aufzubrechen, damit sie anfangen zu reden!" 2020 wurde Olga Koop bei der Suche nach einem Ehrenamt auf das Projekt aufmerksam und besuchte ein Kennenlerntreffen: "Da habe ich sofort gedacht: Das ist das, was du machen könntest."
Im November 2021 gab es die erste Verabredung mit Yuliia und Ihor - mitten in der Coronazeit. Wöchentlich trafen sie sich damals in der Lübecker Stadtbibliothek, mit Masken und Einlasskontrolle. Vom Schulsystem, über Bildung und Kultur bis zu Arbeitswelt und Wohnungssuche ging es in den Gesprächen ganz gezielt um verschiedene Themen. Im Frühjahr zeigte Olga Koop ihnen die Altstadt mit ihren Sehenswürdigkeiten und Kirchen. Gemeinsam besuchten sie die Nacht der Museen und unternahmen zahlreiche Ausflüge, unter anderem nach Hamburg, Berlin und Prag.
Spätaussiedler-Status erweist sich als hilfreich
"So ist eine engere Beziehung entstanden. Wenn wir uns nicht sehen, schreiben wir uns regelmäßig über WhatsApp", schildert Koop. Und Yuliia Luhova ergänzt: "Olga ist ein sehr engagierter Mensch und ich schätze unsere Beziehung sehr. Sie hat eine große Lebenserfahrung. Sie möchte uns etwas beibringen und das ist sehr kostbar. Mit Olga können wir fast über alles sprechen."
Dass Yuliia und Ihor in Deutschland Fuß fassen können, verdanken sie der Tatsache, dass Yuliias Urgroßmutter Deutsche war. Dadurch galt für Yuliias Mutter ein Vertriebenenstatus. Sie konnte als Spätaussiedlerin nach Deutschland kommen. Kurz darauf durfte sie weitere Angehörige nachholen. Einfach war der Weg dennoch nicht. Mit ihren fast 50 Jahren musste Yuliias Mutter in der Ukraine deutsche Sprachkenntnisse auf dem Level B 1 erwerben und nachweisen. Mit dem Status der Spätaussiedlerin hat Yuliia jetzt einen Spätaussiedlerausweis und muss dadurch kein Einbürgerungsverfahren durchlaufen.
Sie hängen hochqualifiziert in der Warteschleife
Die Herausforderungen für das Paar sind dennoch weiter groß. Olga Koop unterstützt, wo sie kann. Bei den Lebensläufen und Bewerbungen, beim Anbahnen von Kontakten. Ihor Luhovyi war in der Ukraine sieben Jahre als Zahnarzt tätig, jetzt wartet er darauf, dass er hier ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis machen kann. Bis er in Deutschland eine Approbation erwerben kann braucht es wohl noch viel Zeit und Geduld. Yuliia Luhova ist Umweltingenieurin und hat in der Ukraine zuletzt in einer internationalen NGO gearbeitet und dabei unter anderem Menschen in der Kriegsregion befragt und unterstützt.
Beide sind hoch qualifiziert und haben immer viel gearbeitet, jetzt hängen sie in der Warteschleife: "Geduld ist ein wichtiges Wort in Deutschland", sagt Yuliia und lacht. Verzweifeln will sie dennoch nicht und sagt selbstbewusst: "Wir sind intelligente Leute. Ich möchte in Deutschland bleiben und hier arbeiten. Ich habe so viel Zeit ins Deutschlernen gesteckt, jetzt möchte ich den Weg auch weitergehen."
"Wir bereichern uns gegenseitig. Es ist ein Geben und Nehmen."
Eines ist dabei neben Geduld besonders wichtig, weiß Olga Koop: Mut. In ihrer Heimat Russland war sie Dozentin und Wissenschaftlerin an der Technischen Universität. In Deutschland musste sie sich völlig neu aufstellen. Sie lernte die Sprache und machte ein Aufbaustudium in Umweltmanagementsystemen. Schließlich fand sie ein neues berufliches Glück und arbeitete 23 Jahre in der Stadtverwaltung Lübeck im Fachbereich Umwelt.
Olga Koop hat mehrere Ehrenämter, die Sprachpartnerschaft aber sei eine echte Herzensangelegenheit, sagt sie mit leuchtenden Augen: "Wir bereichern uns gegenseitig. Es ist ein Geben und Nehmen. Man weiß nicht, was überwiegt. Ich möchte mich leidenschaftlich engagieren, aber ich möchte mit jungen Leuten arbeiten. Wenn ich schon die Zeit investiere, will ich auch die Ergebnisse sehen. Man freut sich über jeden kleinen Erfolg."
Alle wichtigen Infos und Kontakte zu den Sprachpartnerschaften finden Sie auf der Homepage der Gemeindediakonie Lübeck. Das Projekt verzeichnet rund 165 Sprachpaare aus mehr als 30 Nationen.
Projektleitung: Christine Wischmeyer
Telefon: 0451 613201-510
Telefonische Sprechzeiten:
Mo.: 11-13 Uhr, Do. 10-12 Uhr
sprachpartnerschaften@gemeindediakonie-luebeck.de