Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Propst Graffam: Wir wollen eine lebendige Kirche bleiben

Propst Philip Graffam. Copyright: Oliver Beck

Lübeck/Ratzeburg. Die Kirche in Lübeck-Lauenburg muss sich verändern. Ein Impuls, vorgetragen von Propst Philip Graffam bei der Kirchenkreis-Synode am 15. März 2025. Sein Beitrag im Wortlaut. 

Der Impuls im Wortlaut

Bis 2030 wird die Zahl der Pastorinnen und Pastoren in der Nordkirche von derzeit etwa 1.700 auf voraussichtlich 959 sinken. Rund 900 Geistliche gehen in den Ruhestand, während nur etwa 300 neu hinzukommen – ein Rückgang von über 43 Prozent.

2030 ist jetzt. Bereits im Frühjahr 2026 kann ich unter den aktuellen gemeindlichen Arbeitsstrukturen in der Propstei Lauenburg keine flächendeckende pfarramtliche Versorgung mehr gewährleisten. Der Regionalisierungsprozess hat bislang nur punktuell die erforderlichen Umstrukturierungen gebracht.

Gleichzeitig erleben wir in unseren Gemeinden, Diensten und Werken, der Diakonie, in Einrichtungen und Gremien eine lebendige, tief verwurzelte und lebensnahe kirchliche Arbeit.

Petra Kallies und ich haben uns intensiv mit diesen tiefgreifenden strukturellen Veränderungen auseinandergesetzt und mit eine gut besetzten Arbeitsgruppe eine Vision entwickelt, die als mögliche Zielvorstellung dient. Sie soll helfen, die kirchliche Arbeit trotz finanzieller und personeller Herausforderungen zukunftsfähig zu gestalten. Diese Vision möchte ich nun skizzieren:

„Kirche im Kontext – eine Vision für die Zukunft“

„Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz seinen Geschmack verliert, womit soll es wieder salzig gemacht werden? […] Ihr seid das Licht der Welt. Es kann eine Stadt, die auf einem Berg liegt, nicht verborgen bleiben.“ (Matthäus 5,13-14)

Diese Worte aus der Bergpredigt geben eine klare Orientierung: Wir sind berufen, mit dem Evangelium Geschmack und Tiefe in das Leben der Menschen zu bringen, Lichtpunkte der Hoffnung zu setzen und als lebendige Gemeinschaft sichtbar und wirksam zu sein.

Doch wir wissen: Die Welt verändert sich. Kirchliche Strukturen, die über Jahrzehnte getragen haben, verlieren für viele an Relevanz. Menschen suchen neue Formen von Gemeinschaft, Spiritualität und Zugehörigkeit.

Wir nehmen diese Herausforderung an – nicht mit Angst, sondern mit Vertrauen. Denn Kirche als Gemeinschaft derer, die an Jesus Christus glauben, ist kein statisches Gebäude, sondern eine Bewegung. Eine Bewegung, die nicht an Steine gebunden ist, sondern an Menschen. Sie versteht sich als dynamische Gemeinschaft, die ihre Mission durch Begegnung, Beziehung, Dienst, Solidarität und Nächstenliebe erfüllt. Sie ist Kirche in den Lebenswirklichkeiten der Menschen und bietet Raum für Suchende.

Eine Kirche der Zukunft – flexibel und nah am Menschen

Was wäre, wenn der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg sich als eine große Gemeinde versteht? Wenn wir nur noch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wären? Wenn wir unser Verständnis von Zugehörigkeit – weg von ortsgebundenen Kirchengemeinden – hin zu einer flexiblen, kontextorientierten Kirche verlagern?

Durch eine zentrale Bündelung von Verwaltung und Fürsorge für unsere Mitarbeitenden schaffen wir vor Ort Raum für das Wesentliche: eine Kirche, die sich auf ihre inhaltliche Arbeit konzentriert und aktiv gestaltet. Eine Kirche, die sich nicht an feste Strukturen bindet, sondern flexibel und nah an den Menschen bleibt.

Unsere Orte sind Zentren der Begegnung, des Glaubens und der Gemeinschaft – persönlich wie digital erreichbar, offen für Spiritualität, Seelsorge und Dialog. Menschen finden hier Orientierung, Schutz und Inspiration.

Mit vielfältigen Teams und gemeinsam genutzten Ressourcen entsteht eine nachhaltige und verlässliche Struktur. Geistliche Leitung und Begleitung fördern Austausch, Innovation und Qualität. So bleibt die Kirche eine lebendige Kraft – vernetzt, beweglich und zukunftsorientiert, mitten im Leben der Menschen.

Kirche geht zu den Menschen

Kirche ändert ihre Bewegungsrichtung. Sie wechselt von einer reinen Komm-Struktur zu einer Geh-Struktur. Sie geht dorthin, wo Menschen leben, arbeiten und feiern. Seelsorge geschieht in Einkaufszentren, auf Festivals, in Beratungsstellen, Schulen und sozialen Einrichtungen. Eine mobile Kirche bringt Gottesdienste an neue, auch ungewöhnliche Orte – sei es an den Ostseestrand oder in eine große Scheune im Herzogtum.

Investition in Menschen, nicht in Steine

Die wichtigste Ressource unserer Kirche sind nicht ihre Gebäude, sondern die Menschen, die sie gestalten. Deshalb fließen unsere Mittel nicht mehr in den Erhalt leerstehender Gebäude, sondern in Personal, Ausbildung und Begleitung.

Haupt- und Ehrenamtliche stehen im Zentrum der kirchlichen Arbeit. Wir investieren in Seelsorge, Bildung, diakonische Arbeit und neue Formen der Gemeinschaft.

Unsere Gebäude werden flexibel genutzt oder bewusst aufgegeben. Kirchliche Immobilien, die nicht mehr gebraucht werden, werden vermietet, veräußert oder anders genutzt. Sakrale Räume werden nur noch dann mit Kirchensteuermitteln unterhalten, wenn sie für die kirchliche Arbeit unverzichtbar sind. Der Erhalt kirchlicher Kulturdenkmäler sollte zur staatlichen Aufgabe werden.

Eine Kirche, die bleibt – weil sie sich verändert

Diese Zukunft erfordert Veränderungsbereitschaft und Vertrauen: Vertrauen in Gott, in die Menschen, die Kirche gestalten, und in neue Wege.

Wir stehen vor einer Entscheidung. Bisherige Strukturen verlieren an Klarheit, neue Möglichkeiten tun sich auf. Lassen Sie uns diesen Wandel gestalten – mit der Überzeugung, dass Kirche lebendig bleibt, wenn sie sich weiterentwickelt.