Kiel/Lübeck. Der Landtag in Schleswig-Holstein hat Rechtssicherheit für das Pilotprojekt der neuen Bestattungsform “Reerdigung” geschaffen. Fraktionsübergreifend stimmten jetzt alle im Parlament vertretenden Parteien für eine notwendige Änderung des Bestattungsrechts.
Einstimmiges Votum des Parlaments
Dem Gesetzentwurf zufolge, kann das zuständige Ministerium zur Erprobung bisher gesetzlich nicht geregelter Bestattungsarten Ausnahmen zulassen. Mit einer „Erprobungsklausel“ hat der Landtag Rechtssicherheit im Bestattungsrecht geschaffen. Ebenso muss dargelegt werden, wie die zu erprobende Bestattungsart ausgestaltet sein soll und dass eine ethische, umwelt- und arbeitsschutzrechtliche Prüfung erfolgt ist. Voraussetzung ist zudem, dass die Beisetzung auf dem Friedhof erfolgt.
Reerdigung wird bislang in Mölln und Kiel angeboten
Bei einer "Reerdigung" werden Tote in einem abgeschlossenen Kokon auf ein pflanzliches Substrat aus Heu, Stroh und Schnittgut gebettet, heißt es vom Berliner Anbieter. Nach 40 Tagen sollen die Körper durch natürliche Mikroorganismen in Humus transformiert sein. Die Erde des Toten kann dann wie bei einer Erdbestattung auf dem Friedhof beigesetzt werden. Seit 2022 wurden auf diese Weise im Norden bereits zehn Menschen bestattet. Zurzeit wird Reerdigung auf den kirchlichen Friedhöfen in Mölln und Kiel angeboten, die Beisetzung der Erde nach 40 Tagen kann jeder kirchliche Friedhofsträger in Schleswig-Holstein im Rahmen einer entsprechenden Friedhofssatzungsänderung zulassen.
„Unsere Gesellschaft und mit ihr das Bestattungswesen und die Bestattungskultur haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Neben den bisherigen Formen von Erd- und Feuerbestattungen gibt es ein Interesse an neuen gesicherten Verfahren". sagte die kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion. Anette Röttger: "Das geänderte Bestattungsgesetz schafft dafür einen rechtssicheren Rahmen. Eine breite wissenschaftliche Begleitung ist in diesem Prozess besonders wichtig, um alle aufgeworfenen Infragestellungen hinreichend zu beantworten. Die Entscheidung für die gewählte Bestattungsform bleibt sehr individuell“, so die aus Lübeck stammende Abgeordnete.
Friedhofsbeauftragter begrüßt Entscheidung
Mit der aktuellen Ergänzung des Bestattungsgesetzes in Schleswig-Holstein öffnet sich die Tür für eine neue Bestattungsvielfalt, sagt Bernd K. Jacob, Friedhofsbeauftragter des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg. Die Gesetzesänderung sei notwendig geworden, da es bei der Reerdigung am Ende der ersten zweijährigen Pilotphase noch nicht genug wissenschaftliche Erkenntnisse für die offizielle Zulassung gab. “Die Reerdigung geht so in eine zweite Pilotphase und kann schlussendlich als Unterart der Erdbestattung auf Zulassung hoffen”, sagt Jacob.
Nur Sarg und Urne – das war einmal…
Die kirchengemeindlichen Friedhöfe im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg zeigen seit langem Offenheit für individuelle Wünsche und stärken nach Ansicht des Friedhofsbeauftragten das kirchliche Profil. So wurde auf vielen Friedhöfen das anonyme Bestattungsfeld zu einer Urnengemeinschaft. Die genaue Lage bleibt Besuchern und Angehörigen weiter verborgen, jedoch werden an zentralen Stelen Namen und Lebensdaten der Beigesetzten genannt. „Wir wollen dem Wunsch einer möglichst einfachen Beisetzung in einer gepflegten Anlage entsprechen, aber die Verstorbenen in christlicher Tradition auch bei ihrem Namen nennen.“ sagt Bernd K. Jacob.
Da die meisten Friedhöfe in kirchlicher Trägerschaft als sogenannte Simultanfriedhöfe die kommunale Daseinsvorsorge erfüllen, “müssen und wollen wir auch offen sein, und Begräbnisstätten für die ganze Bandbreite der Gesellschaft zur Verfügung stellen”, betont Jacob. Andere Religionen seien hier genauso willkommen, wie weltliches Denken oder diverse Lebensführungen. “Wer also aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen auf einen Sarg bei der Bestattung verzichten möchte, wird in den Friedhofsverwaltungen vor Ort auf offene Ohren stoßen”, betont der Beauftragte.
Mehr Individualität beim Abschiednehmen
Auch Rituale, Abschiedsfeiern und Trauergottesdienste würden immer individueller. Bernd K. Jacob: “Christliche Trauerfeiern werden von den Pastorinnen und Pastoren durchgeführt, die uns oft auch im Leben begleitet haben, manche haben wir regelmäßig gesehen, andere vielleicht nur beim Trauergespräch. Gebete, Lieder und Segen sollen helfen, diese Zeit des Abschieds zu definieren und im Schmerz auch zu ertragen. Wer aber ganz eigene Vorstellungen für die Zeit zwischen Sterben und Beerdigung hat, kann diese Ideen gern einbringen. Sei es ein Abschied zuhause, Pyjama statt Leichenhemd, Briefe im Grab oder bunt gestaltete Särge und Urnen. Die meisten Wünsche lassen sich gut in christliche Trauerbegleitung integrieren. Die Erfahrung zeigt auch, dass Hinterbliebene einen Ort für Trauer benötigen, manchmal auch nur für eine gewisse Zeit. So bieten einzelne Friedhöfe die Namensnennung für See- oder Waldbeisetzungen an, obwohl die Asche ganz woanders in die Natur übergeht.”
Die kirchlichen Friedhofsträger plädieren für Engagement auf den Friedhöfen. “Wie auch immer wir unsere Verstorbenen betten möchten, ob unter einer wilden Wiese, im Obstgarten oder in einem altehrwürdigen Mausoleum, neben den klassischen Grabstellen und Gemeinschaftsanlagen verfügen die meisten Friedhöfe über Platz für individuelle Wünsche oder Anregungen”, betont Bernd K. Jacob. Und: “Seit einigen Jahren sind Baumbestattungen sehr beliebt, auf unseren Friedhöfen oft unter hunderte-Jahre alten Bäumen, mitten in den Orten. Ehrenamtliche Mithilfe kann bei der Umsetzung sehr förderlich sein. Wir alle haben die Möglichkeit unsere Friedhöfe – auch als Heimat – mitzugestalten.”