Um die Haltung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland gegenüber einem Krieg in Europa ging es bei der 2. Sondertagung der II. Landessynode in Travemünde. Wie beeinflussen die erschreckenden Kriegsereignisse in der Ukraine friedensethische Positionen und konkrete Strategien? Welche Rolle spielen die ökumenischen Partnerschaften für ein friedliches Europa? Mit diesen Fragen beschäftigten sich rund 120 Landessynodale zwei Tage lang. Zum Abschluss verabschiedete die Landessynode einstimmig folgende Erklärung.
Die Erklärung im Wortlaut
Wir suchen den Frieden und jagen ihm nach, denn wir sind gewiss: Selig sind, die Frieden stiften. (Nach Psalm 34,15 und Matthäus 5,9)
Die Synode der Nordkirche ist erschüttert angesichts des Krieges in der Ukraine und sucht Gottes Hilfe im Gebet. Sie stellt sich an die Seite des ukrainischen Volkes, aller Friedensfreunde in Russland und Belarus sowie der Opfer des Krieges auf allen Seiten. Sie fordert Russland zur sofortigen Einstellung des Aggressionskrieges auf. Die Synode hält mit Gottes Hilfe an der Hoffnung fest, dass das Leben siegen wird und der Friede das Ziel der Geschichte ist. Der Weg dahin ist weit und beschwerlich.
Die Nordkirche versteht sich als eine lernende Kirche. Die Synode beteiligt sich an der Schärfung friedensethischer Kriterien und bedenkt diese in leidenschaftlichen, aber dabei sachlichen und differenzierten Debatten. Sie hält die Not aus, sich gegebenenfalls zwischen Schuld und Schuld positionieren zu müssen. Sie nimmt die im Rahmen dieser Tagung erarbeiten Anregung in einen weiteren Lernprozess auf.
Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ist anzuerkennen
Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ist rechtlich wie ethisch anzuerkennen. Die Lieferung von Waffen zur völkerrechtlich legitimierten Selbstverteidigung ist aus Sicht der Synode vertretbar. Es geht darum, zivilgesellschaftliche Strukturen zu erhalten, die durch eine russische Okkupation ebenso bedroht wären wie die freie Zivilgesellschaft in Russland es jetzt ist. Zugleich mahnt die Synode an, die ermutigenden Formen des gewaltfreien und zivilgesellschaftlichen Widerstands zu fördern, in Russland, in Belarus, in der Ukraine wie in ganz Europa. In der Entwicklung von Friedensperspektiven nach dem Krieg müssen notwendig Gruppen beteiligt werden, die unter dem Krieg in besonderer Weise leiden. Die Synode fordert den Schutz von Soldatinnen und Soldaten, die sich in diesem Krieg nicht beteiligen wollen.
Auch wenn in der aktuellen Situation in der Ukraine der zivile Widerstand allein nicht ausreichend zu sein scheint, um Leib und Leben zu schützen, so gilt für die Synode die politische Position des gewaltfreien Widerstands als eine von mehreren unverzichtbaren Stimmen in der öffentlichen Debatte.
Unterstützung für Geflüchtete aus allen Ländern
Die Nordkirche unterstützt Geflüchtete aus allen Ländern, in diesen Tagen besonders Menschen, die vor dem Ukraine-Krieg fliehen. Sie wünscht, dass die ökumenische Verbundenheit der Nordkirche und ihrer Gemeinden wächst. Uns sind gerade in dieser Zeit die Partnerbeziehungen der Nordkirche in den Ostseeraum und weiteren osteuropäischen Ländern wichtig. Als Nordkirche pflegen wir Partnerbeziehungen zu Kirchen in Polen, Litauen, Lettland, Estland, Rumänien, Russland und Kasachstan. Dabei ist es uns ein Anliegen, gerade in diesen Zeiten an den Partnerschaftsbeziehungen nach Russland festzuhalten und diejenigen zu stärken, die sich in Russland für Frieden, Versöhnung und für Menschenrechte einsetzen. Innerhalb der Nordkirche wollen wir den Zusammenhalt mit friedensorientierten Menschen in russisch-orthodoxen und den ukrainisch-orthodoxen Gemeinden in Norddeutschland stärken.
Eine besonnene Analyse ist zu fördern
Einer wachsenden verbalen Aufrüstung in Diskussionen und mediale Darstellungen stellt sich die Synode entgegen. Stattdessen gilt es, eine besonnene Analyse zu fördern und bereits jetzt Perspektiven von Gerechtigkeit und Versöhnung nach dem Kriegsgeschehen vorzubereiten. Dazu gehört die Stärkung der Vereinten Nationen. Konkret fordert die Synode, dass entsprechend dem finanziellen Aufwand für Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr intensive Investitionen in zivile Friedensarbeit beschlossen werden, insbesondere für die Bereiche Gerechtigkeit, Klimaschutz, Entwicklung und Bildung.
"Der Gott des Friedens rüste euch aus mit allem Guten, dass ihr seinen Willen tut.“ Hebräer 13,20.21 (Lehrtext für den 7. Mai 2022 aus den Losungen)