Lübeck. Von Meinungsblasen bis zum Teufel: Bei #liveline hat sich Pastorin Katja von Kiedrowski mit Versuchungen und "alternativen Fakten" in der Gegenwart und in der Bibel beschäftigt. Ihre Predigt (18. Februar 2024) im Wortlaut.
Die Predigt im Wortlaut
Die Sozialen Medien sind manchmal echte Zeitfresser. Wenn ich mich hinsetze und ein bisschen auf Facebook oder Instagram umschaue, verrinnt die Zeit, bevor ich es überhaupt so richtig bemerke. Ich sehe Fotos von Freunden oder Bekannten, aber manchmal auch Beiträge von Menschen, die ich gar nicht kenne, die sich aber (so scheint es zumindest) für das Gleiche interessieren wie ich.
Und dazwischen: Immer wieder Werbung, mit Angeboten, die ich oft reizvoll finde. „Timeline“ nennt sich das, was mir da angezeigt wird, Zeitstrahl“ heißt das übersetzt.
Ab und zu muss ich mir klar machen: Das, was mir da gezeigt wird, ist kein Zufall. Dass ich von Gleichgesinnten lese, ist für Facebook wichtig, damit ich mich wohl fühle und verstanden. Nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern damit der Konzern die Werbeflächen unglaublich zielgenau verkaufen kann. Und die Werbekunden zahlen gutes Geld dafür, dass sie ihre Anzeigen Menschen präsentieren können, die sich möglicherweise für genau ihr Produkt interessieren. Was mir meine Timeline anzeigt, passt zu meinen Interessen.
Damit das funktioniert, nutzen die Anbieter der Sozialen Medien hochgeheime Computerprogramme, die jeden Blick und jeden Klick auf meinem Handy überwachen. Wenn ich in der Flut der Bilder besonders oft bei Bildern von kleinen Katzen hängen bleibe, zeigen sie mir immer mehr Bilder von kleinen Katzen. Und nach und nach kommt Werbung für Katzenfutter oder Kratzbäume dazu – aber auch für ganz andere Artikel, Werbung für Dinge oder für Themen, für die sich Menschen begeistern können, die kleine Katzen mögen.
Gefangen in der Meinungsblase
Und als Köder für mich gibt es immer wieder Beiträge von den anderen Menschen die sich für kleine Katzen begeistern können und die wahrscheinlich ganz ähnlich denken wie ich. Nur die Beiträge meiner Freunde, die lieber Hunde mögen als Katzen, die verschwinden nach und nach aus meiner Timeline. Ich nehme immer mehr nur das wahr, wovon die Computerprogramme glauben, dass es zu mir passt, als wäre ich in einer Meinungsblase gefangen.
Wenn es nur um kleine Katzen ginge, wäre das vielleicht gar nicht so schlimm. Aber meine Timeline reagiert auf alles, auch auf meine politischen oder gesellschaftlichen Interessen. Wenn ich mir Sorgen darum machen würde, dass Menschen aus anderen Ländern in mein eigenes Land ziehen, würde genau das gleiche passieren: Ich sehe immer mehr Äußerungen von Leuten, die sich gegen Zuwanderung aussprechen. Ich sehe Werbebilder von Parteien oder Organisationen, die möchten, dass mir Wörter wie „Remigration“ immer leichter über die Lippen gehen. Und weil in meiner Timeline immer nur die passenden Inhalte angezeigt werden, bin ich mir irgendwann sicher: Alle anderen denken genauso wie ich.
Welt ist komplizierter geworden
Unsere Welt ist komplizierter geworden in den vergangenen Jahrzehnten. Gleichzeitig stehen uns mehr Informationen zur Verfügung als je zuvor, mehr, als wir überhaupt zur Kenntnis nehmen können. Wir ertrinken in einer Informationsflut, und das wichtige vom unwichtigen zu unterscheiden, ist genauso schwer wie die Unterscheidung zwischen „richtig“ und „falsch“. Die Meinungsblase, in die mich manche Medien ziehen wollen, bietet mir scheinbar eine Alternative an: Für die Probleme unserer Gesellschaft, für die Herausforderungen, die die Politik zu lösen hat, gibt es ganz einfache Antworten, lese ich da.
„Die da oben“, die machten einfach nur alles falsch. Und meine Interessen, meine Ängste oder Sorgen, die würden die Machthabenden überhaupt nicht interessieren. Die Berichte in den Nachrichten, die diesen einfachen Antworten widersprechen? Das sind alles Fälschungen. Die „Lügenpresse“ wolle mich nur vom richtigen Weg abbringen und mich um meine Rechte betrügen.
In den USA versucht Donald Trump zurzeit, zum zweiten Mal Präsident zu werden. „Make America Great Again“ – „Lasst uns Amerika wieder machtvoll werden lassen“ ist der Slogan, mit dem er um Stimmen wirbt. Er schürt die Angst vor Überfremdung seines Landes, er behauptet, „die da oben“ würden den kleinen Leuten ihr Geld wegnehmen und sie betrügen. Staaten, die sich den USA auf dem Weg zur weltweiten Vorherrschaft in den Weg stellen, die müsse man eben beiseite räumen und bekämpfen. Und obwohl Donald Trump sich unter anderem wegen Wahlbeeinflussung und wegen Verschwörung gegen sein eigenes Land vor Gericht verantworten muss, führt er seine Kampagne unbeirrt weiter – und viele Menschen folgen ihm.
Populisten wollen Einfluss gewinnen
Auch hier in Deutschland versuchen populistische Parteien, mit ihren Parolen und Hetzreden an politischem Einfluss zu gewinnen – und an vielen Stellen ist ihnen das schon gelungen. Wie sehen sie die großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in den vergangenen Wochen? Sie behaupten, die „Lügenpresse“ habe mit gefälschten Fotos versucht, die Menschen gegen sie aufzubringen. Und wenn das nicht klappt, dann sind die Demonstrantinnen und Demonstranten eben von der Regierung gekauft worden, damit sie die angebliche Wahrheit verschleiern.
Eigentlich wollte ich mir in diesem Jahr ein richtiges Fastenvorhaben suchen. Ich wollte mich darauf einlassen, sieben Wochen meinem Leben eine irgendwie besondere Ausrichtung zu geben: Bewusst auf etwas zu verzichten oder noch lieber etwas tun, dass in meinem Alltag zu kurz kommt. Als ich jünger war und unsere Kinder noch klein, fehlte mir dazu die Kraft. Alltag war Herausforderung genug. Aber dieses Jahr wollte ich mir endlich etwas vornehmen. Doch die gesellschaftlichen Veränderungen, die ich im Moment erlebe, sind für mich Fastenvorhaben genug. Was mich umtreibt, sind die Versucher. Das Wort klingt gefährlich, ist es auch.
Das Böse ist manchmal schwer zu erkennen
Der Versucher kam heute schon im Evangelium vor. Traditionell trägt der Versucher auch oft andere Namen, wie: der Teufel. Aber für mich passt das Wort „Versucher“ viel besser. Denn für „den Teufel“ haben wir Menschen uns über Jahrhunderte immer kräftigere Bilder ausgemalt, mit Hörnern auf der Stirn etwa und mit einer grässlichen Fratze als Gesicht, eine abstoßende, gefährliche Gestalt, leicht zu erkennen. Aber das trifft eben nicht auf jeden Versucher zu. Das Böse ist manchmal schwer zu erkennen. Dem Versucher gefällt es, etwas bei mir zum Klingen zu bringen, das mir gefällt und scheinbar gut tut. Der Versucher fühlt sich wohl in meiner Meinungsblase.
Gerade, wenn ich mich schwach fühle, da betritt der Versucher die Szene. Zum hungrigen Jesus sagt er, dass es doch für alles eine ganz einfache Lösung gäbe. Wenn Jesus nur seine Macht in Anspruch nähme und aus den Steinen in der Wüste Brot machen würde, wäre alles gut. Ganz einfach! Jesus widersteht dem Versucher. Lässt sich nicht versuchen, sondern hält sich an Gott, an das, was in den Schriften steht. Er hält an seinem Glauben fest, an seiner Überzeugung. Er fällt nicht herein auf einfache Lösungen, die scheinbar alle Not verschwinden lassen. Ich weiß nicht, ob für jeden Menschen der Glaube der Weg ist, die Kraft zum Widerstand gegen die Versucher und die Versuchungen unserer Zeit zu finden.
Für mich ist er das. Die Geschichte vom Versucher in der Wüste erinnert mich daran: Mein Glaube kann für mich ein Kompass sein zu einer Welt, in dem es vielleicht keine einfachen Lösungen gibt, aber dafür Vielfalt, Toleranz, Freiheit und Nächstenliebe. Amen.
Den gesamten #liveline-Gottesdienst gibt es hier noch einmal zum Nachschauen.