Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg "Ich bete, dass die Vernunft siegt - und die Liebe"

Pastor Heiko von Kiedrowski Copyright: Guido Kollmeier

Lübeck. Im #liveline-Gottesdienst hat Pastor Heiko von Kiedrowski über das Beten gepredigt - und über seine Gefühle nach den schrecklichen Angriffen der Hamas auf Israel. Die Predigt im Wortlaut. 

#liveline-Predigt von Heiko von Kiedrowski

Die Angriffe der Hamas auf Israel füllen die Schlagzeilen in den Zeitungen. Mit nie dagewesener Brutalität wird gekämpft, Zivilisten werden getötet, Menschen wurden verschleppt, die Familien sind in Angst, ob ihre Angehörigen noch am Leben sind. Mit Sonderflügen werden Deutsche aus der Krisenregion evakuiert. Ich sehe die Bilder von einem Musikfestival: Junge Menschen hatten sich getroffen, um bei lauter Musik in den Sonnenaufgang zu tanzen, aber wenige Minuten, bevor die Sonne aufgeht, stoppt die Musik und es beginnt ein furchtbares Massaker an den panischen Konzertbesuchern.

"Gewalt und Hass: Sie sind ganz nah"

Ich ertrage die Bilder nicht. Mir machen die Nachrichten Angst. Und ich weiß: Die Gewalt und der Hass: die finden nicht in einem fernen Land irgendwo in der Wüste statt. Sie sind ganz nah.

Die Auswirkungen des Konflikts sind schon seit Tagen auch bei uns zu spüren. In Berlin, in München oder in Duisburg: aus mehreren Städten gibt es Berichte über pro-palästinensische Demonstrationen. Und im Berliner Ernst-Abbe-Gymnasium gab es eine Schlägerei zwischen einem Lehrer und einem Schüler, weil der Schüler mit einer Palästina-Flagge und einem Palästinenser-Tuch zum Unterricht erschienen war und der Lehrer versuchen wollte, politische Bekenntnisse aus dem Unterricht fernzuhalten.

Politik und Religion sind im Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis auf schreckliche Weise miteinander verwoben. Muslime und Juden kämpfen erbittert gegeneinander, und das, obwohl sich beide Religionen auf den biblischen Stammvater Abraham berufen. Genauso wie wir Christen.
Die Terror-Organisation Hamas hat weltweit dazu aufgerufen, mit Aktionen Solidarität zu Palästina zu zeigen. Überall auf der Welt fürchten jüdische Organisationen und Einrichtungen, dass es zu Anschlägen und Gewalt kommt. Die Sicherheitsbehörden sind besorgt, Krisenpläne werden aus den Schubladen geholt, Synagogen stehen unter Polizeischutz.

"Ich kann mir nicht vorstellen...."

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Gott gibt – egal ob im Islam, im Judentum oder im Christentum – der Gewalt und Brutalität fordert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Gott gibt, der das Leben nicht geschützt wissen will. Aber ich kann mir vorstellen, dass wir Menschen das nur allzu gern vergessen, weil wir so sehr unsere eigenen Wünsche oder Überzeugungen durchsetzen wollen und weil uns dafür manchmal jedes Mittel recht ist.

Seit wir hier in der Kapelle #liveline-Gottesdienste feiern, hat sich für mich etwas daran geändert, wie ich selbst Gottesdienste erlebe. Dabei ist egal, ob ich sie als Pastor gestalte oder ein Teil der Gemeinde bin. Zum einen genieße ich es sehr, dass wir hier wirklich gemeinsam die Gottesdienste feiern mit so vielen Leuten, die vor und hinter der Kamera ihre Gaben einsetzen – und ihre Zeit. Wer schon mal bei uns in der Kapelle zu Besuch war, kann das bestimmt nachempfinden.

Zum Team hier in der Kapelle kommt noch die Gemeinde dazu, die heute und jetzt gemeinsam Gottesdienst feiert: Das ist fast ein bisschen verrückt. Obwohl du und ich vielleicht hunderte von Kilometern voneinander entfernt sind, fühle ich mich mit dir verbunden. Und mit den vielen anderen, die den Gottesdienst mitfeiern. Ich lese heute Mittag nach dem Gottesdienst die vertrauten Namen im Chat auf Youtube, ich freue mich, wenn euch ein Lied oder der schöne Blumenschmuck gefallen hat und ihr auf whatsapp schreibt, oder wenn ich eine E-Mail bekomme, weil jemand eine Frage zur Predigt hat.

"Mein Beten hat sich verändert"

Die Elemente, aus denen sich ein Gottesdienst aufbaut, sehe ich seit den #liveline-Gottesdiensten in einem anderen Licht. Und dafür bin ich wirklich zutiefst dankbar. Ich glaube, am meisten hat sich geändert, wie es sich anfühlt, im Gottesdienst zu beten. Wenn ich als Pastor einen „normalen“ Gottesdienst vorbereite, dann formuliere ich die Gebete meistens selbst. Ich überlege, welche Themen im Gottesdienst vorkommen, was in der Gesellschaft oder in der Politik gerade eine wichtige Rolle spielt und welche Fragen nach meinem Gefühl gerade zu wenig gestellt werden. Manchmal schreibe ich selbst, was mir dazu einfällt, manchmal finde ich ein schönes Gebet in einem Buch. Ich hoffe und wünsche, dass die Menschen im Gottesdienst das Gebet mitfühlen und mittragen können, aber es bleiben meine Worte. Ich wünschte mir sehr, dass dieses Gefühl und dieses Erleben von hier auch in anderen Gottesdiensten mehr zum Tragen kommt und dass die Gottesdienste noch stärker zu Momenten der Gemeinschaft mit anderen Glaubenden werden.

Wenn wir hier Gottesdienst feiern, geschieht etwas besonderes: Ihr schenkt uns eure Gebete. Ihr lasst uns teilhaben an euren Sorgen und Hoffnungen. Jedes Mal, wenn wir hier Fürbitte halten, bin ich gespannt auf das, was kommt.

Wir teilen miteinander, wovon uns die Herzen übergehen. Wir ertragen gemeinsam die Trauer über den Verlust, der in einer Bitte zu hören ist. Wir halten die Unruhe aus, wenn jemand mit einer Krankheit zu kämpfen hat oder nicht weiß, wie sein Leben weiter gehen soll. Und durch viele Gebete von euch, die ich hier höre, kommen auch meine eigenen Sorgen und Ängste an die Oberfläche – aber sie sind verbunden mit dem Gefühl, dass ich nicht allein bin.

"Ich bin nicht allein"

Ich sehe die Bilder aus Israel. Ich lese von Hass und Fanatismus. Ich ahne, wie verzweifelt so viele Menschen sind, die von Krieg und Gewalt bedroht sind. Mir machen die Nachrichten Angst. Aber ich spüre in der Gemeinschaft, wenn wir wirklich miteinander beten: Ich bin nicht allein damit. Dass das Gebet hilft – daran kann ich nur glauben. Aber die Gemeinschaft gibt mir die Sicherheit, dass ich mit diesem Glauben eben nicht allein bin.

Also bete ich heute. Für mich und für euch und mit euch. Ich bete dafür, dass wir Menschen uns – wo wir nur können – für Gerechtigkeit und Versöhnung einsetzen, egal zu welcher Religion wir gehören. Ich bete dafür, dass wir Menschen lernen, den Frieden zu suchen. Ich bete dafür, dass wir es gemeinsam schaffen, Gewalt und Hass zu überwinden. Ich bete dafür, dass die Vernunft siegt – und die Liebe. Und es tröstet mich zu wissen: Ich bin mit meinem Gebet nicht allein. Amen.

Den #liveline-Gottesdienst und die Predigt von Heiko von Kiedrowski zum Nachschauen gibt es hier.