Lübeck. Jiyan und Anood aus dem Irak, Mortaza aus Afghanistan, Sara aus Eritrea (Namen teilweise geändert): Vier junge Migrant:innen hatten Gelegenheit, den Lübecker Bundestagsabgeord-neten Bruno Hönel (Die Grünen) und Tim Klüssendorf (SPD) ihre Geschichten von belastenden Fluchterfahrungen und vom oft schwierigen Ankommen in Deutschland zu erzählen. Das Treffen in der Lübecker „Diele“ war die erste von bundesweiten Regionalveranstaltungen unter dem Motto „Zukunft ist immer!“, die die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit (BAG EJSA) anlässlich ihres 75-jährigen Bestehens plant.
Zum Auftakt hatte der Jugendmigrationsdienst (JMD) der Gemeindediakonie Lübeck gela-den, der wiederum sein 35-jähriges Jubiläum feiert. Die jungen Menschen sind dort in Beratung und erhielten Unterstützung im Kampf gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, betrügerische Telefonverträge, Zwangsheirat oder deutsche Bürokratie. Der Afghane Mortaza (21) etwa, heute Auszubildender zum Berufskraftfahrer, war jahrelang den Machenschaften eines ausbeuterischen und betrügerischen Chefs ausgesetzt. „Ich musste seinem Chef erklären, dass nicht er die Gesetze macht, sondern sich an hiesige Gesetze zu halten hat“, so Migrationsberater Wolfgang Cramer. Dazu bezahlte Mortaza zwei Jahre lang für eine angebliche Autoversicherung, die er unwissentlich telefonisch abgeschlossen hatte.
Die Irakerin Jiyan (24) wurde mit ihrem in Deutschland lebenden Cousin zwangsverheiratet und ausgebeutet. Nach ihrer Flucht von Niedersachsen nach Lübeck, wo die Frau Verwandte hat, verweigerte ihr das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zunächst die Aufenthaltserlaubnis. „Die Fluchtgründe meiner Klientin wurden nicht anerkannt“, bedauerte Migrationsberater Abdulla Mehmud. Unter anderem mit Hilfe des Frauennotrufs erreichte er für Jiyan schließlich die Scheidung, Sprachkurse und eine Ausbildung.
Die beiden Bundespolitiker zeigten ein großes Interesse und Verständnis für die Migrant:innen. „Unsere beiden Parteien teilen dieses Anliegen“, versicherte Bruno Hönel etwa beim Thema Telefonverträge, die nach Meinung der Gesprächspartner untersagt werden sollten. „Wir sind für das Thema sensibilisiert und haben dazu auch schon Vorschläge unterbreitet“, ergänzte Tim Klüssendorf. Er äußerte seine Unzufriedenheit darüber, dass dringend notwendige Gesetzesänderungen aktuell in Berlin von verschiedenen Seiten blockiert würden.
„Die Geschichten sind ein Beweis dafür, wie wichtig die Strukturen sind – dass es überhaupt Ansprechpartner für die jugendlichen Geflüchteten gibt“, betonte Migrationsberaterin Serap Berrakkarasu. „Alle hier sind starke Persönlichkeiten, aber sie brauchen Menschen, die sie verstehen.“ Cornelia Bauke, Bereichsleiterin Migration und Integration bei der Gemeindediakonie, hob hervor: „Es war wichtig, dass diesen jungen Menschen einmal in einer solchen Runde zugehört und nach ihren vielen Kämpfen ihr Vertrauen in Deutschland wieder hergestellt wird.“
Der JMD Lübeck berät heute jährlich rund 450 Klient:innen aus aller Welt. „Die Kolleginnen und Kollegen sind mit viel Herzblut und Engagement dabei“, so Cornelia Bauke. „Leider müssen wir uns immer wieder mit Fragen der Finanzierung auseinandersetzen.“
Die Evangelische Jugendsozialarbeit hat es sich nach eigener Aussage zum Ziel gesetzt, „eine Gesellschaft der Vielfalt mitzugestalten, in der jeder Mensch gleiche Chancen auf ein erfülltes Leben hat. Dies umfasst insbesondere das Bestreben, diskriminierende und ausgren-zende Strukturen abzubauen und Inklusion zu fördern.“
Infos: www.gemeindediakonie-luebeck.de; www.bagejsa.de