Lübeck. "Heilige Geschäfte" ist der Titel einer Inszenierung des Künstlers Christian Jankowski. In vier Lübecker Kirchen eröffnen Geschäfte für zwei Wochen eine Filiale und leisten ‚Dienst am Kunden‘ im sakralen Raum. Angeboten werden den Gläubigen, Kunstfreunden und Kundinnen nicht nur Bekleidung (Holtex in der Johann-Hinrich-Wichern-Kirche) oder Möbel (Bolia in der Kirche St. Petri), sondern auch Lebensmittel (Landwege in der evangelisch reformierten Gemeinde Lübeck) oder Elektronik (JessenLenz in St. Jakobi). Pastor Lutz Jedeck hat sich zu der Eröffnung der Ausstellung mit der Inszenierung auseinandergesetzt. Seine Predigt im Wortlaut.
Inszenierung in vier Lübecker Kirchen
In den unzähligen Gesprächen, die wir zu dem Kunstprojekt Heilige Geschäfte führten, kam von ihrer Seite immer wieder der Wunsch, ich möge über Kommunikation, insbesondere die Sprache Gottes sprechen. Also darüber: Wie Gott zu uns Menschen spricht und was die Bibel dazu sagt. An vielen Stellen berichtet die Bibel von Wesen, die diese Aufgabe übernehmen und auch in etlichen anderen religiösen Traditionen spielen sie eine wichtige Rolle: die Engelwesen.
Engelwesen werden in der Bibel als Boten Gottes angesehen, die zwischen der göttlichen Welt und unserer irdischen Realität vermitteln. Gott spricht durch Engel. Die berühmteste Szene ist die, in der ein Engel Maria die Geburt Jesu ankündigte. Dieser Engel überbrachte die Botschaft in Form eines Symbols: einem Lilienzweig. Reinheit und Gnade wird durch den Lilienzweig symbolisiert.
Doch bevor ich diesen Aspekt weiter ausführe, möchte ich Ihnen, lieber Herr Jankowski diesen Faden zuwerfen, auch ein sehr bekanntes Symbol, es ist der Ariadnefaden.
Sie kennen die Geschichte: In der griechischen Sage überreicht Adriane, die Tochter des Königs Minos, dem Helden Theseus vor dem Betreten des Labyrinths des Minotaurus ein Garnknäuel. Damit war es ihm möglich, wieder den Weg herauszufinden aus dem Labyrinth…
Provokationen und Tabubrüche
Jetzt, heute, hier zur Eröffnung der Ausstellung dient der Faden, um wieder herauszufinden aus den gedanklichen Wirrungen der Gespräche und der gemeinsamen Arbeit hier in St. Jakobi, den Provokationen und den Tabubrüchen, die zu ihrem künstlerischen Konzept gehören, um wieder zur Klarheit zu finden.
Und ich so mute Ihnen und allen verehrten Anwesenden in meiner kurzen Predigt eine Kollage von Bildern und Eindrücken zu, die vielleicht kontrastreicher sind als es sonst meine Art ist. Ich reihe sie aneinander und sortiere sie und setze Prioritäten, um in den Prozess zu gehen und ihn – wenn´s gelingt - ein Stück voranzutreiben, was – wie ich es verstanden habe, Ihr künstlerisches Apriori ist, lieber Herr Jankowski.
Erste Kollage: das Evangelium
Das erste Kollagen Bild ist die kirchliche Tradition: ein biblischer Text für diesen Sonntag. Es ist das als Evangelium gelesene Matthäuskapitel 12, die Verse 1-8
Die Bibel entwirft das Bild eines Kornfeldes: Es ist Sabbat und Jesus und seine Jünger sind auf dem Weg zur Synagoge. Die hungrigen Jünger fangen an, Ähren auszuraufen und zu essen, weil sie arm sind und alternativlos. Die Pharisäer sind ebenfalls auf dem Weg zur Synagoge, sie sehen, wie die Jünger die Ähren rupften. Hartherzig fahren sie Jesus an: „Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbat nicht erlaubt ist.“
Laut Gesetz war am Sabbat keine Arbeit erlaubt. Darauf bezogen sich die Pharisäer. Jesu Replik dann ist klar, unmissverständlich und ziemlich provokativ für die damalige jüdische Gesellschaftsschicht der Pharisäer: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
Jesus forderte einen Perspektivwechsel
Jesus rüttelt damit am Status quo. Jesus rüttelt an den Grundfesten der jüdischen Gesellschaft. Er stellt das Liebensgebot gegen die Einhaltung des Gesetzes. Er fordert einen Perspektivwechsel. Und über alles das stellt er sich als die Inkarnation der Liebe zu Gott und zu den Menschen.
Und er macht deutlich, in jedem Fall ist Liebe nichts, was sich irgendwie – und schon gar nicht durch Hab, Gut und Geld, durch Status oder Gesetz oder Popularität – steuern, "handhaben" und beeinflussen ließe.
Das heißt, Liebe ist nach seinem Verständnis keine Sache, die uns einen Platz auf der Zuschauerbank zuweist, gemäß dem Motto: Hier sitze ich nun und schau mir das Ganze mal an. Vielmehr lädt die christliche Auffassung der Liebe zur Bewegung, zum Mittun ein. Liebe ist eine ungemein dynamische Angelegenheit. Ich muss meine Standpunkte und Überzeugungen aufs Spiel setzen. Ich muss in Bewegung kommen, um vom Ich zum Du zu gelangen.
Für jeden und jede, die dieses Wagnis eingeht, öffnet sich eine Grenze in der eigenen Person. Im gemeinsamen Vorwärtsschreiten, im Zugehen auf das Du, werde ich reicher durch die Erfahrung neuer Wege, neuer Möglichkeiten und Erfahrungen. Ich verlasse mich selbst, um wieder - und dann reicher – bei mir anzukommen.
Diese Gedanken und dieses Verhalten Jesu provozierte damals die Menschen (meist die Reichen und Mächtigen) derart, dass sie ihn umbringen wollten. Sie wollten ihren gewohnten Blick nicht ändern.
Zweite Kollage: der Künstler
Das zweite Bild der Kollage: der Künstler
Er selber sagt: „Das Projekt Heilige Geschäfte provoziert. Das soll es auch, das finde ich gut“. Und die Internetplattform ChatGPT schreibt über ihn: Jankowski hat in seinen Arbeiten oft die Grenzen zwischen Kunst und Alltag, zwischen dem Heiligen und dem Profanen, aufgehoben. Er ermutigt uns, die Welt um uns herum mit neuen Augen zu sehen. In einer Zeit, in der wir oft im Alltagstrott gefangen sind, kann uns die Kunst dazu inspirieren, tiefer zu schauen, die Bedeutung hinter den Dingen zu erkennen und uns bewusster mit der Welt um uns herum auseinanderzusetzen.
Die Kunst von Christian Jankowski erinnert uns daran, dass die Suche nach Bedeutung und Spiritualität in unserem Leben nicht immer den ausgetretenen Pfad gehen muss. Sie kann in der kreativen Erforschung, im Hinterfragen und im Entdecken von neuen Wegen gefunden werden. Sie ermutigt uns, die heiligen Geschäfte des Lebens in all seinen Facetten zu erkennen. Soweit ChatGPT.
Dritte Kollage: Gespräche im Vorfeld
Wir kommen zum dritten Bild der Kollage: Gesprächsfetzen im Vorfeld der Aktion
Ein Kirchen-Besucher: „Mein Kirchraum ist ein Raum der Stille, jeden Mittag komme ich wochentags, um einen Moment abzuschalten und dann jetzt Musik aus der Box und Geflimmer in den Bankreihen. Was soll das?“
Eine feministische Theologin: „Alles nur Männergehabe, Muskelspiele, Frauen würden diese demonstrativ, plakative Provokation nicht inszenieren. Mit einem Wort: dicke Eier“
Ein Schauspieler: „Der Künstler provoziert ein Theaterspiel mit Rollen, die Gläubigen sollen empört sein und er führt die Regie. Dabei geht es wirklich um etwas anderes in der Kirche, insbesondere in St. Jakobi: Wie verstehen und auch wie akzeptieren wir die selbstlose Tat Jesu, bzw. seines Erduldens zum Wohle anderer. Jankowski rührt an einer der wichtigen christlichen Wurzeln. Andersherum stellt er mit seinem Ego, verschärft könnte man sagen, mit seinem Narzissmus als Gegensatz zum Christentum eine wichtige Frage und macht sich natürlich auch selbst sehr verletzlich.“
Eine Gottesdienstbesucherin: „Für mich ist der Kirchraum ein heiliger Raum. Vielleicht sogar die letzte Bastion von Reinheit. Da provoziert es natürlich, dass dieser Raum konfrontiert wird mit den weltlichen Bedürfnissen des Menschen, zu konsumieren.“
Vierte Kollage: der Raum in der Kirche
Das vierte Bild der Kollage: der Kirchraum
Kann diese Ausstellung überhaupt provozieren und vor allem wer provoziert wen?Können also technische Geräte, die, das gebe ich gern zu, von hoher Qualität und enormer Ästhetik geprägt sind, können diese Geräte, die eine Halbwertszeit von gerade einmal hoch gerechnet zehn Jahren haben, einer Kirche, wie St. Jakobi etwas anhaben, die auf 800 Jahre lebendige Geschichte zurückblickt.
Wer provoziert hier eigentlich wen?
Wird dieser Raum tatsächlich provoziert durch das, was jetzt hier stattfindet? Ist es nicht eher umgekehrt, dass diese Geräte sich in dieser Kirche einordnen müssen, sich eher unterordnen, sich ihres vergänglichen Stellenwertes bewusst werden? Wird also in dieser Konfrontation von Materialität und Spiritualität in diesen Räumen nicht eher deutlich, dass ich mir Liebe nicht kaufen kann, dass diese Geräte mir Lust bereiten, ja, aber tragen sie mich auch?
Und wie viele Emotionen haben sich in diesen Mauern über die Jahrhunderte eingenistet und sprechen zu dem, der dafür offen ist? Freude, Liebe, Trauer und Schmerz, all das, was künstlich erzeugt wird auf TikTok, Instagram, Facebook und all den anderen sogenannten sozialen Kanälen.
Wo sind dort die Engel zu finden, die über die großen und wichtigen Themen der Menschheit reden, die Zufluchtspunkte am Horizont eröffnen und ihn zum Leuchten bringen?
Letzte Kollage: Gottes Wort
Das letzte Bild der Kollage: Gottes Wort durch die Engel
Umfragen ergeben, fast jede und jeder glaubt an Engel. Engel haben Kraft. Engel können Zufluchtspunkte am Horizont eröffnen und ihn zum Leuchten bringen in schwierigen Zeiten, sich in Träumen zeigen und Visionen, aber auch im realen menschlichen Gegenüber. Sie tragen wichtige Botschaften in sich. Oft haben sie eine zarte Sprache, manchmal die Sprache der Stille: Engel lieben die Stille. Dies erinnert daran, wie wichtig es ist, Raum für Stille und Meditation in unserem Leben zu schaffen. In der Stille können wir Gottes Botschaften empfangen und die Anwesenheit der Engel spüren.
Engel lieben die Stille
Die tiefste Sprache der Engel ist die Sprache des Herzens. Es ist die Liebe und das Mitgefühl, die von Engeln ausgehen, die uns am meisten berühren. Die Engel senden uns Liebe und Trost, wenn wir sie am dringendsten brauchen. Es ist eine universelle Sprache, die alle Menschen verstehen können: Die Sprache des Herzens: Für uns Christen ist es der Engel der spricht: Was auch immer geschieht: Fürchte Dich nicht…
So wünsche ich Ihnen allen einen interessanten Gang durch die Heiligen Geschäfte mit ihren verführerisch schillernden Geräten in dem Bewusstsein des Satzes von Martin Luther: „Woran Du Dein Herz hängst, das ist dein Gott“