Lübeck. Die Festwoche zum Dom-Geburtstag klingt bei vielen Lübeckern noch nach: „So schön hätten wir es uns nicht träumen lassen – das war ein wunderbares, von der ersten bis zur letzten Minute heiteres, fröhliches, bei aller Leichtigkeit auch tiefgehendes Fest. Vom Abendsegen mit Lichtermeer, Bläsern und Bischöfin zum Auftakt über das Tauffest im Freibad über den Festgottesdienst mit den anderen Lübecker Gemeinden und dem Picknick auf der Domwiese bis hin zu dem großen Bühnenprogramm, den Vorträgen, Führungen, dem zweiten großen Gottesdienst und dem grandiosen Abschlusskonzert. Ein Fest für die ganze Stadt mit Ausstrahlung weit darüber hinaus – wir konnten rund 10 000 Gäste begrüßen!“, schwärmt Dompastorin Margrit Wegner.
"Kein Cent Kirchensteuer"
Günstig sei es natürlich nicht gewesen, eine große Bühne draußen und eine im Dom aufzubauen, eine Schleife an den Nordturm zu hängen und so viele Menschen willkommen zu heißen. Aber: „Das Fest war jeden Cent wert und es floss kein Euro Kirchensteuer hinein – alles ist über Stifter und Sponsoren finanziert worden. Und die waren alle gern bereit, dafür Geld zu geben, weil die Vorfreude schon so ansteckend war“, betont die Pastorin.
Lichtquelle und Kraftzentrum
Bischöfin Kirsten Fehrs bezeichnete den Dom in ihrer Eröffnungs-Andacht als Herberge und Trutzburg, Lichtquelle und Kraftzentrum: „Denn du kennst das Gloria und den Schmerz der Geschichte und so – Schicht um Schicht in der Geschichte – erzählst du von den Wunden der Kriege und von den Wundern der Errettung“. Der Dom gebe Geborgenheit im Inneren, und den Fingerzeig im Äußeren. „Weisen doch die Türme, die angeschlagenen, dennoch und immer auf den, der uns segnet und behütet und bewahrt. Und dann sehen wir die aufgewühlten Seelen dieser Tage und die belastete Seele auch unseres Landes – und wissen, hier ist ein Ort, an dem wir Kraft gewinnen. Klarheit und Aussicht“.
Glaube und Gottvertrauen
Staunend im Meisterwerk der Baukunst stehend sah sich Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt beim Festgottesdienst am 2. Juli: „Wer könnte anders als ergriffen sein von dem Zeugnis, dass der Dom ablegt vom Glauben, vom Gottvertrauen, von Hoffnung und Liebe der Menschen durch die Jahrhunderte hindurch! Der Dom ist Zeuge wie Heimat für Freud und Leid der Menschen“. Die Domgemeinde habe Augen nicht nur für sich selbst, sondern auch Augen für andere – Große und Kleine, Alte und Junge: „Für Menschen, die hier in Lübeck Zuflucht suchen vor Gewalt und Terror, vor Hunger und Dürre an anderen Orten der Erde. Für Menschen in Nah und Fern, die Gebet und tatkräftige Unterstützung brauchen. Wer so von eigenen Sorgen und Nöten absehen kann, um hinzusehen auf Andere, wer über das Eigene die Anderen nicht vergisst, der oder die lebt in der Nachfolge Christi“.
Fragen der Zeit von Pröpstin Kallies
Pröpstin Petra Kallies widmete sich beim traditionellen Johannisempfangs des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg der Frage, welchen Wert die Religion für die Gesellschaft habe – da sich diese angesichts aktueller Umfrage-Ergebnisse des NDR und sinkender Mitgliederzahlen geradezu aufdränge. Sie beleuchtete sie in einem Impulsvortrag von unterschiedlichen Seiten: „Zerfällt die Gesellschaft in kleine Interessensgruppen? Was passiert, wenn die Religion als verbindendes Element in der Gesellschaft nicht mehr die Kraft entfaltet, die sie einmal hatte, wenn religiöse Kultur abhandenkommt? Was wird an ihre Stelle treten?“
Religion an sich habe zwar keinen unmittelbaren „Zweck“, so die Pröpstin, aber sie könne eine inspirierende und verbindende Wirkung in der Gesellschaft entfalten und das Aushandeln von Gemeinschaft fördern. „Aus einer persönlichen Gotteserfahrung ergeben sich Fragen. Daraus erwächst Theologie, die Lehre von Gott – oder vielleicht anders gesagt: das reflektierte Nachdenken über Gott und unsere Beziehungen zu Gott. Wir Menschen fragen: Weshalb existiere ich? Wie kann ich mein Verhältnis zu meiner Umwelt verstehen? Wie kann ich gut und wie richtig leben?"
Auch die Theologie müsse sich immer den Fragen ihrer Zeit stellen, betonte Kallies: „Von Jesus wird erzählt, dass er sich ständig in theologische Streitgespräche verwickeln ließ, und er das Ringen darum, wie man glauben und leben könne, gerne öffentlich austrug – vor aller Augen und Ohren auf dem Marktplatz." Theologie müsse eine Haltung finden und Stellung beziehen. "Und deshalb müssen wir auch über Rassismus und Sexismus reden, solange Menschen unter uns tagtäglich Diskriminierung erleben müssen."
Den Mut finden, vom Glauben zu erzählen
Es erfordere in der heutigen Zeit Mut, "uns als gläubige Menschen zu outen und zu erzählen, weshalb es uns guttut, an Gott zu glauben" - vor allem in außerkirchlichen Bereichen. "Ich glaube, da kommt es auf jede und jeden von uns an". Beim anschließenden Empfang im Ostchor des Doms wurde in vielen Gesprächen weiter über die „Gretchen-Frage“ diskutiert - auch über Kirchenaustritte.
Demokratie – selbstverständlich und fragil
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien erinnerte an die Wichtigkeit der Demokratie, die zwar selbstverständlich sei und doch fragil. „Und auch der Dom scheint selbstverständlich - der immer da ist, stark und nach dem Krieg wiederaufgebaut für die Ewigkeit“. Mit Blick auf die Sanierung der Domtürme sagte sie weiter: „Und doch stehen wir heute gemeinsam in der Verantwortung, dass diese großartige Kathedrale für die Zukunft Bestand hat“.
Kirche als Ort der Stabilität im Wandel
Wie auch die Demokratie in gemeinsamer Verantwortung geschützt werden müsse: „Ein Krieg mitten in Europa, eine durch ständige Veränderungen verunsicherte Gesellschaft, die empfänglicher wird für scheinbar einfache Lösungen populistischer Parteien“. Sie sei sehr dankbar, dass die Festwoche zum 850. Geburtstag des Lübecker Doms neben kirchlichen Themen auch explizit den Fokus auf zeitgeschichtliche Themen richtete – besonders eben auch auf die Verteidigung der Demokratie. „Wie mit der unseres Altbundespräsidenten Joachim Gauck. Keiner wäre an diesem Ort angemessener als er, der evangelische Pastor und gleichermaßen Streiter für die Freiheit“. Kirche sei auch heute noch ein Ort, der in Zeiten des rasanten Wandels Stabilität und Trost spende, der sich in diesem Rahmen aber dennoch der Veränderung nicht verschließe. „Ein Ort, der uns die Möglichkeit bietet, innezuhalten, eine Pause zu machen, nachzudenken. Ein ruhiger Ort der Begegnung. Und ein Ort der Kunst und Kultur. Auch das spielt eine wichtige Rolle bei der Frage nach Identität und Zugehörigkeit in Zeiten der Umbrüche“.
Zahlen und Fakten zur Festwoche
Ein Jahr Vorbereitung und hunderte Stunden ehrenamtliche Arbeit.
30 Bands und Ensembles spielten auf der Bühne vor dem Dom. Für jeden Musikgeschmack war etwas dabei, von Schlager bis Shanty, von Kinderchor bis Klezmer, von Gospel bis Pop.
80 Chorsänger:innen und 40 Orchestermitglieder muszizierten zum Abschlusskonzert im voll besetzten Dom – und 800 Menschen haben zugehört
Zum Vortrag von Alt-Bundespräsident Gauck kamen 600 Menschen im Dom, zum Gottesdienst mit Picknick hinterher 500 Menschen und auf der Domwiese noch viele weitere später im Laufe des Tages.
10 000 Menschen waren an den zehn Tagen rund um den Dom unterwegs.
Am Fest beteiligt waren die Jugendbauhütte, ein Seiltanz- und Zirkusteam, das Hansevolk mit dem mittelalterlichen Lager, das Haus der Kulturen mit iranischen, kurdischen, türkischen und afghanischen Spezialitäten sowie einem internationalen Bühnenprogramm, eine Fotostation, eine Pop up Bar, ein Spielzeuggeschäft mit dem Steckenpferdparcours, ein Food Truck ...
Die 80 Liegestühle und 40 Bierzeltgarnituren auf der Wiese waren fast durchgehend besetzt
Das Medieninteresse war groß – die Geburtstags-Schleife schaffte es bis in die Bild-Zeitung
Die Anbringung der Schleife beschäftigte fünf Kletterer sieben Tage lang, Ehrenamtliche wie Carlos Blohm (Bauausschussvorsitzender) haben allein dafür 150 Stunden ihrer Freizeit gern investiert
Alles ist gut gegangen, das Wetter hat mitgespielt, nur ein einziges Pflaster musste einmal geklebt werden – Gott sei Dank!