Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg Die Weihnachtspredigt 2024 von Lübecks Pröpstin Petra Kallies


Lübeck. ”Gründe selbst einen Wunder-Rat, der hinschaut, der fragt, zuhört, sich berät", appelliert Lübecks Pröpstin Petra Kallies in ihrer Weihnachtspredigt 2024, gehalten in der Christvesper in St. Marien zu Lübeck am Heilgabend. Die Predigt im Wortlaut. 

 

Die Predigt im Wortlaut

Gnade und Friede sei mit uns allen. Amen.

So heißt es beim Propheten Jesaja im 9. Kapitel:

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich; dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. 

Liebe Gemeinde,

die Weihnachtsgeschichte führt die uns die Krippenszene vor Augen: Maria und Josef mit dem Neugeborenen, Ochs und Esel im Hintergrund, Hirten, Schafe, Engel.

Wie gut tut es, diese vertrauten Texte zu hören, die bekannten Lieder zu singen! 

Wie gut tut es, gerade, wenn das Weltgeschehen uns Sorgen macht oder gar mit Angst erfüllt. Wie gut tut die Geborgenheit, die von dieser Szene ausgeht!

Trotzdem wissen wir: diese Geschichte idealisiert. Sie ist keine Dokumentation; sie ist erzählte, bebilderte Theologie. Jesus kam in einer der dauerhaftesten Krisenregionen überhaupt zu Welt: im Nahen Osten. Damals war, wie heute, der Alltag geprägt von Armut, Ausbeutung, verschiedensten Widerstandsgruppen und staatlicher Gewalt. Kein bisschen Frieden. 

Verzweiflung, Sehnsucht, Hoffnung

Als Jesus zur Welt kam, da war die Prophezeiung des Jesaja bereits 700 Jahre alt: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst.

So viel Verzweiflung steckt hinter diesen Worten, so viel Sehnsucht, so viel Hoffnung. „Eines Tages wird es geschehen und dann werden wir sagen: Ein Kind ist uns geboren…“

Verzweiflung, Sehnsucht, Hoffnung – diese drei…   

Sie sind es, die uns bewegen am Weihnachtsfest 2024. 

Trauer und Zorn über das Attentat von Magdeburg.

Trauer und Zorn über das Morden in der Ukraine, im Nahen Osten und anderswo.    

Sehnsucht nach Frieden. 

Sorge, was wohl als nächstes passieren kann.

Hoffnung auf - - - , ja, auf wen oder was denn eigentlich?

 

Wunder-Rat… Wunder-Rat…?

Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst.

Ich habe eine Vorstellung davon, was wohl ein „Gott-Held“ sein mag, auch mit Ewig-Vater und Friede-Fürst kann ich irgendwie etwas anfangen. Aber was mag ein „Wunder-Rat“ sein???

Wir kennen den Ältesten-Rat – klar, da kommen die mit der meisten Lebenserfahrung zusammen. Oder den Sicherheits-Rat – dort wird über Sicherheitsfragen debattiert.

Wunder-Rat…   Wunder-Rat…?

Es ist Weihnachten – da darf man mal ganz anderes denken. Den Alltag in einem anderen Licht betrachten. „Wunder-Rat“ also. Es ist an der Zeit, dass der „Wunder-Rat“ zusammentritt!

Analysen, Problemlagebeschreibungen und Realitätschecks – das ist alles in Hülle und Fülle vorhanden. Vieles, was im Ältesten- oder im Sicherheitsrat entwickelt wird, ist auch tatsächlich hilfreich. Aber es war entweder nie der ganz große Wurf, oder aber: wir haben die Vorschläge nicht umgesetzt, aus Bequemlichkeit, aus Eigennutz, …

Wer dürfte denn überhaupt mitarbeiten in diesem „Wunder-Rat“, den das Kind „das uns heute geboren ist, der Sohn…“ einberuft?

Fragen wir ihn doch selbst. Nicht den Neugeborenen, aber den Erwachsenen: Jesus von Nazareth. In der Bergpredigt im Matthäus-Evangelium, Kap. 5 fasst Jesus nämlich zusammen, wen er für geeignet hält:

Die Barmherzigen. – Menschen, die der Not anderer nicht aus dem Weg gehen, sondern mit ihren Möglichkeiten helfen.

Die Friedfertigen. – Menschen, die dem Frieden unbedingt und jederzeit oberste Priorität einräumen.

Die es hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. – Menschen, die Unrecht und Willkür nicht ertragen und nicht verschweigen.

Die reinen Herzens sind. – Menschen, die an das Gute im Menschen glauben und deren Worte ohne Hintergedanken sind.

Die Sanftmütigen. – Menschen, die die Gabe besitzen, erstmal durchzuatmen, bevor sie antworten und die deeskalierend wirken.

Vielleicht denken Sie: „Oh, weh, das ist mir ja eine schöne Truppe! Was sollen die denn bewirken angesichts der Probleme dieser Welt!?“

Hallo?! Die sind nicht die Verfasser der hundertsten Machbarkeitsstudie – die sind der „Wunder-Rat“! Dazu braucht es andere Typen als sonst. 

Außerdem haben sie noch einige qualifizierte Fachleute dabei:

Die Leidtragenden – denn wer wüsste besser zu sagen, wie das Elend der Welt sich wirklich anfühlt, und weshalb es ein solcher Skandal ist, als die Leidtragenden selbst.

Die geistlich Armen – nicht die geistig, sondern geistlich (!) Armen, also solche, deren Glaube immer mal wieder wackelt. Menschen, die vermeintliche Glaubenssätze, welcher Religion auch immer, noch infrage stellen können. Suchende – nicht schon Fertige.

Und die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. – Das sind die wirklich Mutigen, die angesichts des Unrechts nicht schweigen, sondern es beim Namen nennen. Immer und immer wieder – und damit Leib und Leben riskieren.

 

Wenn…

Wenn alle diese zusammentreten würden und sich beraten,

und wenn wir ihren Vorschlägen ernsthaft zuhören würden,

und wenn wir davon wenigstens 25% umsetzen würden –

dann könnten wir tatsächlich Wunder erleben!

Im Internet kursiert seit langem der Spruch:

Alle sagten: ‚Es ist unmöglich.‘ Dann kam einer, der wusste das nicht. Der hat es einfach gemacht…

Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst. 

Interessant, oder, dass Jesaja die Geburt eines Kindes ankündigt und bejubelt; nicht den Amtsantritt eines Erwachsenen!

Heißt das, Gott traut den Kindern zu, die Welt zu gestalten? 

Heißt das, Gott traut überhaupt nur den Kindern zu, Frieden zu bringen?

 

Einsatz für die Kinder dieser Welt 

Konsequenter Einsatz im Wunder-Rat bedeutet in jedem Fall:

Einsatz für die Kinder dieser Welt. Wenn es ihnen gut geht, geht es der Welt gut. Geht es Mütter und Vätern gut.

Vielleicht ist das überhaupt die Frage, die wir uns selbst und anderen immer wieder stellen müssen. Unbedingt im Wahljahr 2025: „Was bedeuten die Wahlprogramme für die Kinder? Ist das, was wir planen, was Ihr vorhabt, ist es gut für die Kinder? Für ihre Gegenwart, für ihre Zukunft?“,

  • für unsere Kinder,

  • für die Flüchtlingskinder, in Deutschland und in den Flüchtlingslagern überall auf der Welt,

  • für die Kinder in den Südseestaaten und in Ozeanien, die aller Wahrscheinlichkeit nach miterleben werden müssen, wie ihre Heimat unwiderruflich im Meer versinkt?

Es ist doch nicht nur das Jesuskind, es ist doch jedes Kind zum Niederknien! Jedes Kind ist Gottes Ebenbild, besonderen und unbedingten Schutzes bedürftig. Mit einem Recht auf Frieden und faire Lebensbedingungen. Mit einem Recht auf unbeschwertes Spielen und Nächte ohne Angst. Mit einem Recht auf Bildung und medizinische Versorgung.

Lasst uns nicht länger darauf warten, dass jemand anderes den „Wunder-Rat“ einberuft. Gründet selbst einen! Mit Barmherzigen, Friedfertigen, Gerechtigkeits-Hungrigen, Sanftmütigen und Offenherzigen am Tisch.

Gründe selbst einen Wunder-Rat, der hinschaut, der fragt, zuhört, sich berät. Der sich nicht mehr abspeisen lässt mit Hinweisen auf das angeblich Unmögliche. Und der Vorschläge macht, die zum Frieden führen – von mir aus auch in kleinen Schritten.

Alle sagten: ‚Es ist unmöglich.‘ Dann kam eine, die wusste das nicht. Die hat es einfach gemacht.

Einer davon hieß Jesus von Nazareth. Heute feiern und besingen wir seinen Geburtstag. Vor 2000 Jahren kam er zu Welt. Und er kommt immer wieder zur Welt: in jedem Kind, das das Licht der Welt erblickt. 

Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vorstellungskraft, dieser Friede erfülle unsere Herzen – in Jesus Christus, unserem Heiland.

Amen.