Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg "Nie wieder ist jetzt": 10.000 demonstrieren in Lübeck

Tausende Menschen demonstrierten in Lübeck unter dem Motto „Die offene Gesellschaft verteidigen – dem Rechtsruck entgegentreten“. Copyright: Bastian Modrow

Lübeck. “Nie wieder ist jetzt”: In Lübeck hat am Sonnabend (27. Januar 2024) eine der größten Demonstrationen der vergangenen Jahre stattgefunden, um ein sichtbares, hörbares und unmissverständliches Zeichen zu setzen: „Die offene Gesellschaft verteidigen – dem Rechtsruck entgegentreten“ war das Motto der Veranstaltungen mit vielen tausend Teilnehmenden. 

Groß-Demo gegen Rechts 

Ein Bündnis aus 15 Initiativen und Organisationen hatte zu der Demonstration aufgerufen - unter anderem auch der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg. „Nein zu Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Sozialneid! Ja zu Weltoffenheit, Vielfalt und Nächstenliebe! Dafür gehe ich nicht nur heute auf die Straße“, sagt Lübecks Pröpstin Petra Kallies. Joachim Nolte, Beauftragter der Kirche gegen Rechtsextremismus im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg, beobachtet die Entwicklungen gesellschaftlicher und politischer Ströme mit Sorge: „Wir erleben, dass Deutschland und Europa immer weiter nach rechts rücken. Kirche muss um des Evangeliums willen angehen gegen das, was dem Gemeinwohl schadet.“

Kirche zeigt Flagge

Die Resonanz war überwältigend: Ursprünglich sollte die Demonstration auf dem Lindenplatz starten. Da aber bereits mehr als eine Stunde vor Beginn der Kundgebung so viele Menschen in Richtung Bahnhof drängten, war der Start vor das Holstentor verlegt worden. Von hier aus ging es nach mehreren Redebeiträgen - besonders bewegend: die Ansprache eines Geflüchteten aus Syrien - durch die Straßen der Lübecker Altstadt. 

Viele hatten Flaggen wie “Unser Kreuz hat keine Haken” oder “Unsere Kirche ist vielfältig” mitgebracht. Andere Teilnehmende hatten Plakate und Transparente dabei: “Marzipan statt Naziwahn”, “Kunterbunt statt K….braun” oder “Nazis essen heimlich Döner” war dort zu lesen. Immer wieder wurden von Teilnehmenden Lieder angestimmt. Als Zeichen der Unterstützung läuteten um 13 und 15 Uhr die Glocken von St. Marien - als “Symbol für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte”. Nicht wenige Passanten schlossen sich spontan dem Zug von der Holstenstraße durch die Königstraße und die Beckergrube zurück zum Holstentor an.

 

Gedanken der Flüchtlingsbeauftragten  

Pastorin Elisabeth Hartmann-Runge, Flüchtlingsbeauftragte des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, hatte eine Rede zu der Eröffnung der Demonstration verfasst, vorgetragen von Maria Brinkmann vom Flüchtlingsforum. Der Text der Ansprache im Wortlaut:

Liebe Lübeckerinnen und Lübecker, es ist ein starkes Zeichen, wie viele Menschen unserem Aufruf zu dieser Demo gefolgt sind. Ein Zeichen für eine offene, bunte, vielfältige, vielsprachige Gesellschaft. Ein lautstarkes Zeichen gegen das Bild von der schweigenden Mitte. 

Heute ist der 27. Januar – 79 Jahre nach der Befreiung weniger Überlebender aus dem Konzentrationslager Ausschwitz. Dieser Tag steht für die Erinnerung an die Millionen von Menschen , die systematisch ermordet wurden  in Auschwitz, Bergen-Belsen Buchenwald, Majdanek, Theresienstadt, Treblinka – um nur einige Namen zu nennen. Wir wollen all dieser Ermordeten und aller, die um sie trauern, in einer Minute der Stille gedenken.

Doch schreit das Unrecht, das – aus der Mitte der Gesellschaft!sich Bahn brechen konnte laut bis in unsere Gegenwart.

Nie wieder Faschismus! Das wurde in den Folgejahren zu einem Fundamentalsatz der Demokratie in diesem Land. Und dieser Satz schließt ein: Nie wieder vergessen, wie es angefangen hat und beginnt.

Dass Sie und Ihr heute so zahlreich hierhergekommen seid, dass seit zwei Wochen an so vielen Orten Menschen ihren Protest gegen Rechtsruck auf die Straße tragen, mag ein Spiegel sein, wie viele Menschen antifaschistische Überzeugungen teilen. Ich möchte es gern glauben! 

Werden wir eine neue Bewegung?

Viel ist in diesen Tagen und Wochen davon zu hören, dass wir die Demokratie verteidigen müssen. Die politische Struktur, in der partizipativ und transparent  mit wechselnden Mehrheiten um Entscheidungen gerungen wird. Eine fragile Struktur, wie wir wissen, wenn wir uns die Parlamente in Deutschland und in Europa anschauen.

Die Demokratie verteidigen – das ist keine statische Angelegenheit und nicht einfach eine politische Formel. Das ist eine Aufgabe der Zivilgesellschaft, und die Zivilgesellschaft hat ihren Auftrag verstanden.

Demokratie verteidigen: Das ist die Herausforderung,  die Vielfalt der Kulturen, der Geschlechter und Identitäten  gelten zu lassen  und in den Entscheidungsprozessen abzubilden! 

Es ist auch eine Aufgabe der Parlamente und Verfassungsorgane! Wir, die Zivilgesellschaft fordern von den politisch Verantwortlichen, dass sie rechtliche Grundlagen für ein gutes Zusammenleben schaffen. Dass sie die Grund- und Menschenrechte achten und sie nicht relativieren oder gar in der politischen Konjunktur preisgeben!

Ja: Auch das ist heute an diesem Tag Thema!

Demokratie verteidigen widerspricht Ungleichwertigkeitsvorstellungen und Rassismus. Demokratie verteidigen widerspricht Machtphantasien von Deportation und Zusammenpferchen von Menschen in Lagern.

Nie wieder Faschismus?

Es ist erschütternd, dass solche neofaschistischen Machtphantasien wieder in Salons ausgetauscht werden. Aber diese Demonstration steht auch im Zusammenhang von parlamentarischen Entscheidungen in Deutschland und Europa, in denen Asyl- und Menschenrechte preisgegeben werden!

Als kirchliche Mitarbeiterin werde ich öfter gefragt, ob wir nicht statt „GEGEN“ zu demonstrieren, bitte lieber „FÜR“ demonstrieren könnten. Ja, das tun wir auch! Wir stehen in unseren Arbeitsfeldern ein FÜR Menschen, die schutzbedürftig sind. Für Menschen, die in lebensgefährliche, unzumutbare Situationen abgeschoben werden sollen. FÜR die unteilbare Würde aller Menschen.

Das aber bedeutet, dass wir uns denen, die all das in Frage stellen, mit vereinten Kräften ENTGEGENSTELLEN müssen. Nie wieder ist ein Satz für die Gegenwart!

Nie wieder ist jetzt!