Gemeinsame Wertebasis und offener Dialog
Für eine gemeinsame Wertebasis und die Fähigkeit zum offenen Dialog in Kirche und Politik, Staat und Zivilgesellschaft gleichermaßen hat Bischöfin Kirsten Fehrs während der "Feierlichen Stunde zum Advent" in der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen geworben. Dazu hatte die Hamburger Bischöfin gemeinsam mit Ulrike Hillmann, Präses der Landessynode, und Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt eingeladen.
Corona: Kinder und Jugendliche haben besonders zu leiden
In ihrer Adventsansprache vor den etwa 300 Gästen sagte Fehrs: „Die Kinder und Jugendlichen, das hat mich im Gespräch mit den Schülersprechern noch einmal richtig aufgerüttelt, haben besonders hart unter Corona und den Kontaktbeschränkungen zu leiden. Über 20 Monate Infektionsangst, Furcht, sich und die Familie anzustecken. Diese Angst liegt auf der Seele. Und Wut liegt da auch. Und Verzweiflung, weil die Abbrüche nicht einfach wieder aufzuholen sind und die Einsamkeit schwer auszuhalten. Beteiligt uns an Entscheidungen, dann können wir sie besser verkraften, lautet ihr Plädoyer. Wir alle können dabei mittun. Wir müssen hinhören und wahrnehmen, was diese zwei Jahre die Kinder und die Jugendlichen gekostet haben. Und wir müssen Verantwortung übernehmen.“
Bereits während der Landessynode im November 2021 hatte die Bischöfin in ihrem Bericht ausführlich auf die Lage der Kinder und Jugendlichen hingewiesen:
Ermöglichen Sie Hoffnungsräume
„Junge Menschen haben Ideen für eine gute Zukunft. Und sie wollen gehört werden. Nicht nur in Klimafragen. Sie appellieren an uns: Bitte schaffen Sie weiter Sprechräume, hören Sie zu, machen Sie Jugendfreizeiten, guten Konfirmandenunterricht, kurz: Ermöglichen Sie Hoffnungsräume!," so Fehrs.
Eine „tiefe Sehnsucht nach Nahbarkeit“ habe sie in den Dialogen mit Jugendverbänden, mit Wirtschaft und Kultur erlebt, und ebenfalls in den Gedenkfeiern zur Bewältigung der Coronakrise, auch im interreligiösen Umfeld. „Sie werden gesucht, spirituelle Orte, in der unsere Muttersprache, die Seelsorge, das Licht vom Berg ins Tal trägt. Öffentliche Seelsorge, die nicht nur versteht, was auf der Seele der Einzelnen liegt, sondern auch auf der Seele eines Landes. Mit einer Hoffnung, die der Krise standhält.“
Bischöfin Fehrs: Als Religionsgemeinschaften im Gespräch bleiben
Während der feierlichen Stunde zum Advend warb Fehrs für den offenen Dialog „Glaube, Religion, Weltanschauung sind keine Privatsache. Es muss uns politisch und gesellschaftlich beschäftigen, was Menschen bereit sind zu glauben und worauf sie ihr Vertrauen stützen. Denn wir sind angewiesen auf eine gemeinsame Wertebasis und die Fähigkeit zum offenen Dialog! Und deshalb liegt mir so sehr daran, dass wir als Religionsgemeinschaften miteinander im Gespräch bleiben.“
Für ein gutes Zusammenleben in unserer Gesellschaft brauche es neben der Stimme der Vernunft außerdem die Stimme der Hoffnung, so Fehrs weiter. Dafür stehe der Advent: „Wir erwarten noch etwas. Wir finden uns nicht ab mit dem, was nicht gut ist. Wir bleiben zuversichtlich – allen Verunsicherungen zum Trotz.“ Die Bischöfin erinnerte an die Weihnachtsgeschichte: „Diese Hoffnung, die durch ein Kind geboren wird und die über jede Vernunft hinausgeht, motiviert Menschen noch heute zu Liebesdienst und tiefer Menschenfreundlichkeit.“ Ihr großer Dank galt ausdrücklich den Unzähligen, die seit 20 Monaten bis an die Grenze der Belastbarkeit gegangen sind.
Impfung: Kirche in dreifacher Pflicht
Die Hamburger Bischöfin warb für die Impfung gegen das Corona-Virus. Sie sieht die Kirche an dieser Stelle in dreifacher Pflicht: „Erstens: Wir beziehen Position für das Leben. Ohne Wenn und Aber. Für das Leben derer, die vor einer Infektion geschützt werden müssen. Aber genauso auch für das Leben derjenigen, die unter den Eindämmungsmaßnahmen leiden – und das sind besonders die Kinder, die Jugendlichen, die Hochbetagten in den Heimen.
Als Kirche ermutigen wir eindeutig zum Impfen. Der nüchterne, an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierte Verstand spricht sehr klar dafür. Das Risiko einer Impfung ist unendlich viel geringer als das Leid, das umso größer wird, je weniger Menschen sich impfen lassen. Auch deshalb stehen wir auf der Seite der Wissenschaftler, der Ärztinnen, auch der Politik und der Behörden, die auf die klare Einhaltung von Regeln drängen. Weil diese Regeln Menschen schützen und Leben retten.
"Wir geben keinen einzigen Menschen verloren"
Zweitens: Wir geben keinen einzigen Menschen verloren; auch die nicht, deren Meinung wir nicht teilen oder die uns mit ihrer Haltung herausfordern. Wir sind als Kirche in besonderer Weise auch dem Zusammenhalt verpflichtet. Die Integration, das Zusammenkommen und Zusammenbleiben der so Verschiedenen, das leisten Regeln nicht allein. Das schaffen vor allem gemeinsame Rituale. Denn sie sprechen nicht zuvorderst die Vernunft an, sondern erreichen das Herz. Sie berühren Tiefenschichten der Seele und stärken deswegen Gemeinschaft.
Von Sorgen und Nöten entlasten
Genau deshalb halten wir an unseren Gottesdiensten fest oder wenigstens an geöffneten Kirchen, auch in Zeiten hoher Inzidenzwerte. Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Auch jetzt und heute. Das ist unser Auftrag“, bekräftigte die Bischöfin. „Es muss Orte geben, an denen alle Menschen sich von ihren Nöten und Sorgen entlasten und sich eine ordentliche Portion „Fürchte dich nicht“ abholen können. Ganz gleich ob geimpft, genesen oder getestet: Hier wirst Du gesehen, gebraucht und getröstet. Hoffnungsorte der Besonnenheit. Gerade in der Krise, auch der persönlichen.
An die Krippe dürfen alle kommen
An Orten wie diesen lebt die alte Geschichte vom Krippenkind, das eine so unglaublich versöhnende Kraft in sich trägt. An die Krippe dürfen ausnahmslos alle kommen. Alle dürfen das Kind hinreißend finden, sie dürfen lieben, sich sehnen, glücklich sein. Die Krippe ist der Ort, an dem die Unterschiede in den Hintergrund treten.“
Praktisches Handeln
Zur dritten Aufgabe für Kirche gehört für die Bischöfin das praktische Handeln überall dort, wo es möglich ist. Nicht umsonst seien viele mobile Impfstationen in Kirchen-, aber auch in Moscheegemeinden eingerichtet worden. Kirsten Fehrs: „Das hat mich mit Stolz erfüllt. Weil so viele in unseren Gemeinden verstanden haben: Beim Impfen geht es nicht nur um kurze Wege, sondern vor allem um Vertrauen!“