Lübeck. Kirsten Fehrs, Bischöfin des Sprengels Hamburg-Lübeck und EKD-Ratsvorsitzende, war am 2. Februar 2025 zu Gast bei #liveline. Ihre Predigt im Online-Gottedienst im Wortlaut.
Die #liveline-Predigt im Wortlaut
Der Herr segne dich und behüte dich. Er lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.
So, liebe #liveline-Gemeinde, das war’s. Die kürzeste Predigt der Welt. Alles gesagt, alles gewünscht, was es zum Leben braucht. In nur drei Sätzen!
Aber gut, ein bisschen nachdenken lohnt doch. Denn das ist ja schon etwas sehr Besonderes, dass auch ganz kirchenferne Menschen diese uralten Worte irgendwie anrühren. Vielleicht weil so viele in diesen Zeiten totaler Unsicherheit Schutz suchen und Geborgenheit? Und Gewissheit, dass mein Leben einen Sinn hat?
Jedes Jahr bei der Nacht der Kirchen in Hamburg - das ist ein Riesen-Glaubensfest mit Tausenden von Leuten - verteile ich am Abend in der Fußgängerzone Segensbänder. Mit einem persönlichen Spruch für jede und jeden einzelnen. Und es ist wirklich bewegend, was dieses eine Segenswort alles auslöst.
Die beiden Eheleute etwa, die just ihren 35. Hochzeitstag feiern und es nicht immer leicht haben miteinander. Sie hören, dass Gott sie liebt, was immer kommt – mit Tränen in den Augen. Oder der alte Herr in Trauer hofft auf einmal wieder, dass es hellere Tage geben wird. Die junge Frau, die schwer krank ist, fragt, wie sie Kraft bekommt, die Krise zu bestehen. Und bedankt sich für die Kraft des Segens. Die jungen Geflüchteten, die einander die Worte übersetzen: dass sie hier Heimat finden und in Frieden leben mögen. „Amen“, antworten sie und ziehen friedlich ihre Straße.
Das geht lange so. Unter zwei Stunden komme ich da nie weg. Und es macht mich glücklich. Denn dass Gottes Segen Leben gibt und Licht, von Angesicht zu Angesicht, das ist nicht nur gesagt, sondern wird erlebt. Man erlebt herzensnah, dass die wirklich wichtigen Dinge im Leben – Liebe, Gesundheit, Glück, Freiheit, innerer Frieden – dass all das ein kostbares Geschenk ist, was wir nicht selbst in der Hand haben. Auch wenn wir es noch so sehr wollen und dafür arbeiten. Weil da etwas Unverfügbares ist, eine Kraft außerhalb von mir, die in mein Leben einwirkt. Ganz persönlich. In meins und deins.
Deshalb heißt es auch: Der Herr behüte dich, nicht euch! Du bist als einzigartiger Mensch gemeint und angesehen. So wie du lebst – und vielleicht manchmal auch leben musst. Gott legt diesem deinem Leben die Hand auf und sagt: Und nun los, geh deinen Weg. Vor dir ist weites Land. Sei so frei – und geh in Frieden.
So alt, so klug, so modern, so nötig
Der Herr segne dich und behüte dich – und schenke dir Frieden.
Es sind mit die ältesten Segensworte in der Bibel. Und: So alt sie sind, so klug, so modern und so nötig sind sie in diesen Tagen, die geprägt sind von Wahlen, Kämpfen und Konflikten, von großen Umbrüchen, Krieg und Angst. Der Herr segne dich in all dem – heute. Und damals vor über 3.000 Jahren. Schon damals standen diese Worte am Ende eines feierlichen Gottesdienstes. Und zwar in einer besonders kritischen Situation für das Volk Israel. Das streikt nämlich gerade. Das Volk murrt, weil es nach einer langen
Wüstenwanderung all der Durststrecken und Krisen müde ist. Doch: Es nützt ja nix. Es muss weitergehen, Richtung gelobtes Land. Das ruft Mose immer wieder in Erinnerung, seit Jahren schon: Los, lass es zieh‘n mein Volk, raus aus der Knechtschaft eurer Angst in die Freiheit! – Let my people go!
Doch die Israeliten zittern und zaudern, ja wünschen sich die Fleischtöpfe Ägyptens zurück, jammern den angeblich so goldenen Zeiten von früher hinterher. Und bleiben also sitzen und knurren und knötern und wissen alles besser. (Kennt man irgendwie ...) Und genau in diese aufgeraute Stimmung hinein spricht Aaron, Moses Bruder und ihr erster Priester, diesen uns so vertrauten Segen. Er hebt die Hände über die Menschen, schützend, denn die Wütenden und Verzagten brauchen jetzt keine Zurechtweisung. Sondern Zuneigung, Zuversicht. „Der Herr segne dich und behüte dich ...“ Langsam wird es leise. Still! Es sind ja nur wenige Worte. Der Segen trifft ihr Herz und ihre Sehnsucht. Das Murren verstummt. „... und schenke dir Frieden.“ Die Menschen sammeln sich. Stehen langsam auf. „Amen.“ Und gehen los, kraftvoll wieder, let my people go – auf in die Freiheit. Ein Segen, dieser Segen der Freiheit!
Der Angst die Macht nehmen
Diese besondere Freiheit, die sich an Gott gebunden weiß, sie nimmt der Angst die Macht. Das brauchen wir doch jetzt so! Wir brauchen Kraft für alle Aufbrüche. Stärke für den Weg. Für den persönlichen Weg, aber auch den, der alle betrifft, den politischen. In drei Wochen wählen wir in Deutschland einen neuen Bundestag. Was für ein ungeheures Glück, denke ich oft, dass wir in einem Land leben, in dem es allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen gibt! So viele Menschen haben für diese Freiheit gekämpft. So viele beneiden uns weltweit um sie. Trotzdem machen sich viele Sorgen. Um die Zukunft Deutschlands, um die Zukunft Europas, um die Zukunft der Demokratie. Dafür gibt es gute Gründe, denn gar nichts ist selbstverständlich. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht. Der Schutz der Schwachen nicht. Das Asylrecht für politisch Verfolgte. Die Freiheit der Meinungen, der Medien, der Religionen. All diese wunderbaren Schutz- und Freiheitsrechte, die in unserem Grundgesetz stehen und den Kern unserer Zehn Gebote wiedergeben, sie sind gefährdet, liebe Geschwister, wenn Pöbeln und Hetzen, Niederschreien und Bedrohen unser Miteinander vergiften. Denn Demokratie lebt von Gesprächen und Kompromissen. Vom Aushandeln und von gegenseitigem Respekt.
Geht das den Bach runter, geht auch die Freiheit verloren.
Als Gesegnete sind wir in diese Zeit geboren, damit wir die Welt in anderem Licht – in Gottes leuchtendem Angesicht – sehen. Gesegnet sind wir, frei und gleich, um immer wieder neu den Frieden zu denken. Zu hoffen. Ihn zu erflehen und beherzt zu handeln. Damit das Gute konsequent das Böse überwindet!
Denn wir haben einen Auftrag, von Christus her. Als Christenmenschen leben wir einen Glauben, der keiner Partei angehört, außer der Partei der Menschenfreunde. Wir müssen jetzt alles dafür tun, um den Zusammenhalt und Frieden in diesem Land zu stärken. Mit Demut. Mit offenen Ohren, auch für andere Meinungen. Mit weiten Herzen für alle, die es schwer haben im Moment. Mit Klarheit gegen extremistische Verirrungen. Unsere Demokratie baut auf uns! Und ja, sie hat ihre Fehler – und Feinde hat sie auch. Und deshalb braucht sie Schutz und Beistand.
Es ist wichtig, wählen zu gehen
Weswegen es wichtig ist, wählen zu gehen. Und demokratische Parteien zu stärken. Niemand ist dabei unbedeutend. Und niemand ist nicht verantwortlich. Gesegnet eben. So können wir zum Segen werden. Für die Freiheit und den Schutz des Lebens. Gestärkt vom Segen, der seit Jahrtausenden schon Seelen berührt, Träume wachhält, Aufbrüche stärkt. Jeden Tag. Trotz allem.
Sammeln wir uns also, liebe Geschwister. Stehen wir auf. Und gehen los, kraftvoll, in dieser verwundeten Welt der Hoffnung entgegen, let my people go.
Amen.
Hier geht es zum Gottesdienst
Den digitalen #liveline-Gottesdienst mit Bischöfin Kirsten Fehrs gibt es hier zum Nachschauen.
Das digitale Format #liveline ist ein Projekt des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg in Kooperation mit der Lübecker Kirchengemeinde in St. Jürgen. Zuschauende können sich seit 2020 interaktiv beteiligen, ihre Fürbitten in die digitalen Gottesdienste einbinden und mit dem #liveline-Team im Chat kommunizieren.