Lübeck. Am 6. und 7. November 2024 reisen Kinder der 4. Klassen der Kaland- und der Domschule in das ausgehende Mittelalter zurück. Nicola Nehmzow bereitet gerade alles vor, um die Mädchen und Jungen in St. Aegidien originalgetreu zu begrüßen: „Wir nehmen sie mit auf eine Reise in die Zeit der Reformation – mit an den Tisch von Katharina und Martin Luther samt der Hausangestellten Hanne“, berichtet die Pastorin. Ihr zur Seite stehen Brigitte Miehe, seit den Anfängen 2014 dabei, und Vikar Michael Bertram, der frisch in der Gemeinde angekommen ist. Dazu kommen weitere Ehrenamtliche und Vikare, die Freunde der Familie Luther darstellen.
Von Angst und Manipulation
„Wir wollen den Kindern erklären, warum Martin Luther Mönch wurde. Er hatte viel Angst und versuchte, alles richtig zu machen, damit Gott ihn lieb hat. Er hat gespürt, dass es so nicht funktioniert. Wer Angst hat, lässt sich leicht manipulieren. Dagegen hat Luther protestiert – unter anderem mit den 95 Thesen“, ergänzt Nicola Nehmzow. „Angst zu haben ist normal“, nimmt Brigitte Miehe den Faden auf. „Wir zeigen ihnen, dass Gottes Liebe größer ist. Und dass sie ihm alles anvertrauen können, was ihnen Sorge bereitet. Und auch, dass sie sich alles wünschen dürfen. Vom neuen Laptop bis zur Gesundheit für die Oma.“
Der gnädige Gott
Martin Luther prägte das Bild des gnädiges Gottes. „Vor der Reformation konnte man sich von den begangenen Sünden freikaufen. Da fragte man sich: Gebe ich mein Geld für meine heile Seele aus oder kaufe ich lieber Brot oder Medikamente?“, so Nicola Nehmzow. Der Ablasshandel funktionierte mit der Angst, heute funktioniere die Angst mit Konsum und Klamotten. „Und sie funktioniert sogar politisch“, sagt Vikar Bertram. „Selbst da gilt: Was muss ich tun, um dazuzugehören? Oder darf ich gar unpolitisch sein?“
Wissen für das Volk
Viel Spaß hätten die Kinder dabei, die ihre eigenen Protestzettel an eine Wand zu hämmern. „Es ist super spannend, was sie darauf schreiben! Manche Kinder haben große Sorgen. Aber auch konkrete Lösungsideen“, so die Pastorin. Sie und ihr Team leiten die Schüler:innen an vier Stationen: zu der Hausangestellten Hanne (Brigitte Miehe), zu Marie, einer entlaufenen Nonne und einer Freundin von Katharina, zu Karlstadt, einem Freund Luthers und in die Studierstube zu Philip Melanchthon. Hier können die Kinder mit einer echten Feder schreiben und einen Bibeltext aus dem Hebräischen übersetzen. „Das Spannende an der Reformation ist, dass es auch um die Demokratisierung von Wissen ging“, erzählt Nicola Nehmzow. Bis dahin konnten nur wenige Menschen lesen, es blieb meist den Kirchenvätern und Adligen vorbehalten. Mit der Reformation kam auch der Buchdruck, die die Bibel vervielfältigte und unter das Volk brachte.
Zeit der Veränderungen
„Es war damals an der Zeit“, resümiert Michael Bertram. „Die Veränderungen standen an. Martin Luther erkannte das. Vor ihm versuchten es viele andere, doch die landeten teils auf dem Scheiterhaufen.“ Nicola Nehmzow fügt an: „Auch heute stehen wir an einem Punkt der Weiterentwicklung, gesellschaftlich und in der Kirche. Wir dürfen stärkende Traditionen aber auch behalten – und das Neue willkommen heißen“.
Hintergrund zur Reformation:
Am 31. Oktober vor genau 507 Jahren schlug Martin Luther die 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg – dieser Tag bildete die Geburtsstunde der Reformation. Aus ihr entstand die Evangelisch-Lutherische Kirche. Luther kritisierte öffentlich die damaligen Gebräuche der Kirche, wie den Ablasshandel. Luthers Kritik war bei den Kirchenoberen natürlich nicht gern gesehen; er wurde eingekerkert und vor Gericht gestellt. Doch die Reformation war nicht mehr aufzuhalten.
In St. Aegidien begann die Reformation in Lübeck
In Lübeck hielt die Reformation im Jahr 1523 Einzug. In St. Aegidien machte sich der Prediger Andreas Wilms für Veränderungen stark und kritisierte damalige Praktiken. 1528 wurde er seines Amtes enthoben und verließ Lübeck. Er kehrte zwei Jahre später wieder zurück, allerdings als Pastor an St. Petri. Nach ihm ist heute das Andreas-Wilms-Haus in der Hüxtertorallee benannt. Sein Nachfolger führte den lutherischen Gottesdienst ein. Damit war die St.-Aegidien-Kirche die erste Kirche in Lübeck, in der die reformatorische Praxis umgesetzt wurde. Berühmt wurde sie für den so genannten „Singekrieg“ – Gottesdienstbesucher protestierten, indem sie lautstark Lieder sangen. Johannes Bugenhagen reiste als enger Vertrauter von Martin Luther nach Lübeck, um eine neue Kirchenordnung auszuarbeiten. So gestaltete mit seiner Schul-, Kranken- und Sozialordnung das gesamte Gemeinwesen in Lübeck neu. 1531 wurde diese neue Ordnung angenommen und verkündet. Lübeck war von nun an protestantisch.
Und das sind die Termine der Zeitreise:
Bei Katharina und Martin in Wittenberg - eine Zeitreise in das ausgehende Mittelalter, 4. Klassen der Dom- und Kalandschule, Pastorin Nicola Nehmzow und Team
Mittwoch, 6. November, 8.30 Uhr und 10.30 Uhr
Donnerstag, 7. November, 8.30 und 10.30 Uhr